Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2016: Forschung

Schwieriges Erbe: „Wem gehört Kultur?“

Ein Projekt der Universität Tübingen und des Linden-Museums Stuttgart zum Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten in ethnologischen Museen

Das Projekt „Schwieriges Erbe: Zum Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten in ethnologischen Museen“ ist eine Kooperation zwischen der Universität Tübingen und dem Linden-Museum Stuttgart. Den Projektantrag haben Professor Dr. Gabriele Alex vom Asien-Orient-Institut, Abteilung für Ethnologie, Professor Dr. Thomas Thiemeyer vom Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Professor Dr. Inés de Castro vom Linden-Museum Stuttgart gemeinsam gestellt. Es geht bei dem derzeit bundesweit in dieser Konstellation einzigartigen Projekt unter anderem darum, mehr über die gesellschaftliche Dynamik zu erfahren, die hinter der aktuellen Diskussion um Museumsobjekte aus der Kolonialzeit entsteht. Weiterhin sollen Methoden der Provenienzforschung, also der Herkunftsforschung, beispielhaft an Objekten aus Namibia erprobt und neue Wege zum Umgang mit diesen Objekten gefunden werden. Johannes Baral sprach mit Professor Dr. Thomas Thiemeyer und Jan Hinrichsen, dem wissenschaftlichen Projektkoordinator, über die Ziele und Hintergründe des im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderten Forschungsprojekts.

Baral: Meinem Eindruck nach hat Ihr Projekt bereits viel Aufmerksamkeit in der Presse bekommen. Welcher Themenbereich des Projekts ist das, der für so viel öffentliches Interesse sorgt?

Hinrichsen: Ein Grund dafür ist sicher, dass der Umgang mit den Objekten in ethnologischen Sammlungen derzeit allgemein eine hohe gesellschaftliche Relevanz hat. Aktuell ist das gut zu sehen an dem im Aufbau befindlichen Humboldt-Forum in Berlin, das im Laufe dieses Jahrzehnts als Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildung mit internationaler Ausstrahlung etabliert werden soll. Es geht bei diesen Diskussionen vor allem um Fragen nach kulturellem Eigentum, wie beispielsweise „Wem gehört Kultur?“, „Kann man Kultur überhaupt besitzen?“ und „Wer hat das Recht auf Repräsentation von Kultur?“. Dazu kommt, dass sich die deutsche Gesellschaft derzeit stark verändert. Die Gesellschaft wird sich gerade der eigenen Diversität und Pluralität viel stärker bewusst. Da geht es um ähnliche Fragen: „Wer darf mitsprechen?“ oder „Wer darf für wen sprechen?“.

Thiemeyer: Völkerkundliche Museen stehen gerade massiv in der Kritik, weil sie Objekte besitzen, die in der Kolonialzeit gesammelt wurden. Bis vor etwa 15 Jahren hat das kaum jemanden interessiert. Da war die Kolonialzeit nichts, mit dem sich Deutschland als Gesellschaft beschäftigen musste oder wollte. Inzwischen wird aber anders über gesellschaftliche Heterogenität und Pluralität gesprochen. Seit etwa der Jahrtausendwende mehren sich somit Stimmen und Interessengruppen, die sagen, dass sie bestimmte Museumsobjekte für problematisch halten. Und die Museen müssen sich jetzt überlegen, wie sie damit umgehen. Sie können die Objekte nicht mehr so wie bisher ausstellen, gerade auch weil sich deren Bedeutung verändert. Die Völkermuseen geraten in die Kritik, die ganz grundsätzliche Fragen nach dem Umgang mit „dem/den Anderen“ stellt. Das Humboldt-Forum beherbergt zu einem maßgeblichen Teil die Sammlung des dortigen Völkerkundemuseums. In Berlin gibt es viele Interessengruppen, die nun klären wollen, wie man mit der Kolonialzeit und Objekten aus dieser Zeit umgeht – im Humboldt-Forum sehen Sie die passende Gelegenheit, das bundesweit sichtbar zu machen.

Hinrichsen: Das Beispiel des Humboldt-Forums zeigt, dass es nicht mehr nur darum geht, wie man beispielsweise auf rechtlicher Ebene mit diesen Objekten umgeht. Es geht auch um die Frage, wie man sich der Kolonialgeschichte als Ereignis stellt oder wie wir gesellschaftliche Diversität verstehen. Das lässt sich gut erkennen an den Interessenvertretergruppen – „No Humboldt 21!“ ist beispielsweise die Gruppe, die hier derzeit die größte Aufmerksamkeit bekommt.

Thiemeyer: Diese Dynamik wird nun auch in anderen Städten, wie beispielsweise Stuttgart, sichtbar. Die Kulturpolitik wünscht sich zum Beispiel für Leitlinien für den Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten. Das Humboldt-Forum soll 2019 eröffnet werden – es ist also anzunehmen, dass sich hier in den nächsten Jahren in der Diskussion viel bewegen wird.

Baral: Um hier wissenschaftlich tätig werden zu können, muss man aber vermutlich erst einmal erfassen, über welche Objekte man genau spricht und welchen Hintergrund diese haben.

Thiemeyer: Richtig. An der Universität fragen wir vor allem nach der gesellschaftlichen Dynamik. Jan Hinrichsen wird sich dazu mit den Interessengruppen beschäftigten, mit diesen Kontakt aufnehmen und herausfinden, wer momentan in der deutschen Gesellschaft ein Interesse hat, sich mit den Fragen rund um Museumsobjekte aus der Kolonialzeit zu befassen. Die Kolleginnen und Kollegen vom Linden-Museum wollen an exemplarischen Objekten durchexerzieren, was es für ihr Museum heißen würde, wenn sie auf die Forderungen zum Umgang mit den Objekten aus der Kolonialzeit eingehen und eine umfassende Provenienzforschung betreiben. Sie versuchen herauszufinden, wo die Objekte herkommen und wie weit man hier überhaupt kommen kann bei diesen Nachforschungen. In den völkerkundlichen Museen handelt es sich meist um Alltagskultur, die im 19. Jahrhundert oft auf verschlungenen Wegen in die Museen gelangt ist. Das versuchen die Kollegen im Linden-Museum konkret am Bestand aus Namibia aufzuarbeiten. Dabei spielt auch eine Rolle, schlicht herauszufinden, was für einen Personalaufwand Provenienzforschung erfordert.

Baral: Bei den vielen Objekten in den völkerkundlichen Museen ist Provenienzforschung sicherlich aufwendig.

Thiemeyer: Man kann die Herkunftsgeschichte nicht an jedem einzelnen Objekt dieser riesigen Sammlungen erforschen. Die Schwierigkeit wird daher für das Museum sein, durch Stichproben gesamte Konvolute einschätzen zu können. Es geht darum, Arbeitsmethoden zu finden, über die eine Verständigung mit Interessengruppen gelingen kann. Das soll die Grundlage schaffen, um einen gesellschaftlichen Konsens zum Umgang mit diesen Museumsobjekten zu finden und Methoden zur Hand zu haben, mit denen wir die wirklich problematischen Objekte erkennen können.

Für uns ist an diesem Projekt darüber hinaus sehr wichtig, dass wir einen Dialog zwischen universitärer Forschung und den Wissenschaftlern im Museum herstellen. Dieses Projekt bietet die Gelegenheit dafür, miteinander ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen. Wir arbeiten an ähnlichen Fragen, aber normalerweise in getrennten Welten. Die Museen betreiben genuine Forschungsarbeit, stehen dabei aber unter permanenter Beobachtung der breiten Öffentlichkeit. Sie müssen mit Objekten zum Teil sehr komplexe Themen darstellen, was keine leichte Aufgabe ist, da es zur Plakativität zwingt.

Im Linden-Museum findet vom 24.-25.4.2017 eine Tagung zum Projekt mit dem Titel „Schwieriges Erbe. Koloniale Objekte – Postkoloniales Wissen“ statt, bei der die Projektbeteiligten zum Stand ihrer Arbeit berichten werden.

Projektwebseite der Universität Tübingen:
http://www.uni-tuebingen.de/de/77025

Projektwebseite des Linden-Museums Stuttgart:
http://www.lindenmuseum.de/service-menue/presse/schwieriges-erbe/