Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2018: Alumni Tübingen

Der Mafia auf der Spur

Im Interview: Der Journalist und Autor Sandro Mattioli

Sandro Mattioli ist Journalist, Autor und Referent. Er studierte in Tübingen und Rom Allgemeine Rhetorik, Neuere Geschichte und Empirische Kulturwissenschaft und verbrachte nach einem Volontariat bei der Stuttgarter Zeitung mehrere Jahre in Rom. Heute lebt und arbeitet er in Berlin. In seiner Arbeit beschäftigt er sich unter anderem mit der italienischen Mafia. Das Interview führte Melina Metzker.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrem Studium in Tübingen?

Obwohl ich damals noch nicht für das Thema Kriminalität, geschweige denn Organisierte Kriminalität, sensibilisiert war, fühlte ich mich in Tübingen wie auf einer Insel der Glückseligen. Kaum Delikte, alles sauber, gepflegte Diskurse statt Schimpfwörter auf den Straßen. Nicht, dass ich es anders gebraucht hätte, aber ich habe immer wieder Praktika, Auslandsaufenthalte und Urlaubssemester genutzt, um anderswo ins wahre Leben einzutauchen. Heute weiß ich, dass auch Tübingen nicht so beschaulich ist, wie es scheint und die Mafia in der ach so schönen Region genauso präsent ist wie anderswo. Ich erinnere mich aber auch an tiefe Freundschaften, die dort entstanden sind, tolle ausufernde Partys und viel Schabernack, den wir getrieben haben. Und an eine Studienzeit, die es mir ermöglichte, meine Nase in viele verschiedene Themen reinzustecken, die mich interessiert haben, und so meinen Weg zu finden.

Sie sind heute Journalist, Autor und Referent - wie hat Ihre Tübinger Zeit Sie auf Ihr Berufsleben vorbereitet?

Ganz praktisch war es die Mitarbeit beim Schwäbischen Tagblatt – damals eine tolle Spielwiese. Ich hatte als Freier Mitarbeiter viele Freiheiten, konnte mich ausprobieren und auch sehr schräge Konzertrezensionen verfassen. Das war toll, ich habe sehr viel für mich gelernt durch kontinuierliches Ausprobieren, aber auch wenig verdient. Eine Vorlesebühne für angehende Autorinnen und Autoren, die ich damals ins Leben gerufen hatte, die „Ohrmacht“ in der Marquardtei, zeigte mir, wie Andere Texte wahrnehmen und wie mächtig Texte sein können, wenn man sie nur gut bearbeitet. Darüber hinaus war natürlich auch das Studium eine gute Schule, vor allem dafür, Dinge nicht isoliert zu sehen, sondern in einen komplexen Rahmen einzubetten und auch dafür, dieses Einbetten zu reflektieren. In Rhetorik und Geschichte sind mir viele tolle Dozenten und Dozentinnen begegnet, die Suchende waren wie ich es auch bin: Suchend nach neuen Erkenntnissen, neuem Wissen, neuen Zusammenhängen. Hochinteressant war etwa ein Seminar, das sich mit Systemtheorie auseinandersetzte und sich selbst organisierenden Systemen. Oder auch welche in Geschichte zum Thema Nationalismus und eines zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Nachkriegsdeutschland. Solche Seminare schärften meinen Blick, was mir noch heute nützlich ist.

Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist die italienische Mafia. Lag Ihnen dieses Thema als Halbitaliener schon immer nahe oder hat Ihre Zeit in Rom Sie dazu geführt?

Meinen ersten Berührungspunkt mit dem Thema hatte ich als Volontär der Stuttgarter Zeitung, ich schreib damals über eine Veranstaltung des Berliner Vereins „Mafia? Nein, Danke!“. Inzwischen, zig Jahre später, bin ich dessen Vorsitzender. Dass die Antimafia so viel Raum in meinem beruflichen Schaffen einnimmt, ist eigentlich einem Zufall geschuldet: Ich lebte drei Jahre lang als Reporter in Rom und berichtete von einer Region südlich von Rom, wo die Leute sich vergifteten wegen toxischer Substanzen im Boden, Hinterlassenschaften der Industrie dort. Ich fand heraus, dass die verseuchten Böden nach Deutschland gebracht werden, um hier Deponien zu verfüllen, und dass die Mafia dabei auch eine gewisse Rolle spielt. Für meine Recherchen bekam ich ein Stipendium und in der Folge ein Angebot für einen Buchvertrag, das ich zunächst ausschlug. Ich recherchierte jedoch mit einem befreundeten Kollegen, Andrea Palladino, weiter und am Ende stand das Buch „Die Müllmafia“, in dem es um ein wildes Miteinander von Mafia, Geheimdiensten, Unternehmern, Politikern und Rechtsanwälten geht, das jahrzehntelang radioaktive und hochtoxische Abfälle weggeschafft hat – nach Kalabrien, ins Meer, nach Afrika. Damit war der Anfang getan, sich tiefer mit Mafia-Organisationen zu beschäftigen. Ich lernte zwei Mafia-Aussteiger kennen, die zuvor Chefs ihres Clans waren, Luigi Bonaventura und Carmine Schiavone. Von ihnen lernte ich sehr viel. Seitdem mache ich Fernsehberichte, schreibe Reportagen für Magazine, halte Vorträge und kläre auch Unternehmer über die Gefahren durch die Organisierte Kriminalität auf. Eine wichtige Rolle dabei spielt die NGO "Mafia? Nein, Danke!" und meine tollen Kolleginnen und Kollegen. Wir sind als Anti-OK-Lobby-Organisation tätig, veranstalten Konferenzen und Fortbildungen und sammeln Wissen, Daten und Fakten über Mafia-Organisationen in Deutschland. Häufig suchen auch Betroffene Hilfe bei uns.

Was ist Ihnen als Journalist und Autor ein besonderes Anliegen?

Das Land, in dem wir leben, die Bundesrepublik Deutschland, mag einige Webfehler haben; vieles läuft nicht optimal. Das unterscheidet uns nicht von anderen Ländern, aber eigentlich ist es hier gar nicht so schlecht. Dass dem so ist, dafür gibt es Gründe: das Grundgesetz, die soziale Marktwirtschaft, unsere Demokratie. Wenn ich durch meine Arbeit dazu beitrage, unser Miteinander zu erhalten und zu stärken, und gleichzeitig helfe, dass manche Schwäche deutlich wird, dann bin ich froh. Darüber hinaus bin ich Journalist geworden, weil es einfach ein toller Beruf ist: man kann so viele spannende Einsichten bekommen, interessante Menschen kennenlernen, Detektiv spielen und sich in Zusammenhänge eingraben. Es gibt also auch einen – wenn man so will – egoistischen Teil meines Jobs; ein Anliegen, meine Zeit, mein Leben mit sinnvollen Dingen zu verbringen und gleichzeitig Spaß daran zu haben.

Was raten Sie den heutigen Studierenden im Hinblick auf Studium und Berufswahl?

Schwierig, ich bin ja nun schon eine Weile raus aus dem Ding. Ganz allgemein lohnt es sich glaube ich, den Wert von Geld und materiellen Dingen fürs eigene Leben in Frage zu stellen. Denn auch einen gut honorierten Job kann man mit 40 Jahren Unglücklichsein teuer bezahlen. Wichtig ist, die eigenen Interessen zu erkennen und von denen zu scheiden, von denen man glaubt, es seien eigene, die tatsächlich aber fremdinduziert sind, zum Beispiel Erwartungshaltungen der Eltern. Und selbst wenn man aus betuchtem Hause stammt schadet es nicht, sich zu fragen, wer und was einem ein gutes Leben ermöglicht und vielleicht etwas an die Gesellschaft zurückzugeben bzw. wenigstens gesellschaftsverträglich zu arbeiten und Egoismen zu entsagen. Man sollte sich bewusst sein, dass wir alle gemeinsam an unser aller Zukunft schrauben. Inwiefern man dabei kapitalistische Logiken bedienen will und inwiefern das zufriedenstellt, ist eine Frage, die jede/r mit sich selbst ausmachen muss.