Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters

Projekt Achalm

Die Achalm bei Reutlingen ist ein dem Trauf der mittleren Schwäbischen Alb vorgelagerter Zeugenberg, der aus Ablagerungen des weißen und braunen Jura besteht. Seinen 707 m hohen Gipfel krönte im Hochmittelalter eine Burg, von der heute allerdings nur noch wenige Reste erhalten sind. Lesefunde vom kleinen Gipfelplateau und den angrenzende Steilhängen belegen darüber hinaus eine Besiedlung dieses Platzes bereits in vorrömische Zeit.

Vom "Scheibengipfel", einem nach Westen weisenden Vorsprung am Fuß des eigentlichen Bergkegels, sind ferner Reste eines wohl eisenzeitlichen Grabhügelfeldes bekannt. Der bislang bedeutendste ur- und frühgeschichtliche Fundplatz der Achalm liegt jedoch am Osthang des Berges im Bereich des sog. "Rappenplatzes", einer bis zu 20 breiten und ca. 120 m langen Verebnungsfläche etwa 80 Höhenmeter unterhalb des Gipfels.

Seit dem Jahre 2000 führt das Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Eberhard-Karls-Universität Tübingen in enger Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Reutlingen dort jeweils im Sommer archäologische Ausgrabungen durch. Primäres Ziel dieser Untersuchungen ist es Art und Dauer der Besiedlung der Achalm in vorrömischer Zeit genauer zu bestimmen.

Das Projekt knüpft damit an ältere Forschungen an, die zwischen 1970 und 1978 unter Leitung des Tübinger Konservators a. D. Dr. G. A. Rieth an dieser exponierten Stelle stattfanden. Bereits damals wurde die große Bedeutung dieses Platzes als Quelle für die Kenntnis der frühen Geschichte des Reutlinger Raumes deutlich.

Die Funde der bisherigen Grabungen belegen, dass der "Rappenplatz" in vorchristlicher Zeit über längere Zeiträume hinweg als Siedlungsplatz genutzt wurde. Insbesondere während der späten Urnenfelderzeit (10./9. Jh. v. Chr.) sowie in keltischer Zeit (= Späthallstatt- und Frühlatènezeit, 6.-4. Jh. v. Chr.) haben sich hier Menschen dauerhaft niedergelassen. In der jüngeren der beiden Siedlungsperioden hat man überdies die natürliche Verebnungsfläche des "Rappenplatzes" durch künstliche Aufschüttungen zu einer mächtigen Siedlungsterrasse ausgebaut. Dies ermöglichte es hier ebenerdig verschiedene Wohngebäude zu errichten. Reste dieser aus Holz, Flechtwerk und Lehm errichteten Bauten haben sich im Boden erhalten und konnten im Verlauf der neuen Grabungen dokumentiert werden. Dazu zählen zahlreiche Herdstellen, die Reste eines Backofens und eines Lehmbodens sowie verschiedene Pfostengruben. Zahlreiche Kleinfunde aus den Siedlungsschichten (Keramik, Spinnwirtel, Webgewichte, Nadeln, Fibeln, Perlen, Tierknochen u.a.) vermitteln überdies einen anschaulichen Einblick in das Alltagsleben und in das Handwerk im 1. Jahrtausends v. Chr. in unserem Raum.

Unsicher ist bislang die kulturhistorische Einordnung einer Reihe menschlicher Skelettreste, die in den Siedlungsablagerungen der jüngsten urgeschichtlichen Siedlungsperiode (5./4. Jh. v. Chr.) zutage traten. Dabei dürfte es sich weniger um einen unmittelbaren Niederschlag gewaltsamer Auseinandersetzungen vor Ort handeln, als vielmehr um die Überreste besonderer totenritueller Praktiken. Dafür spricht neben der Art der Deponierung der Knochen vor allem, dass es sich im wesentlichen um Schädelreste und Langknochen handelt.

Einer der geborgenen Schädel weist verschiedene auffällige Verletzungen auf, die wahrscheinlich zum Tode des betreffenden Individuums geführt haben (Einwirkung stumpfer Gewalt im Bereich des Scheitelbeins sowie Verletzungen mit einem spitzem Gegenstand im Stirn- und Hinterhauptsbereich). Eine abschließende anthropologisch-pathologische Beurteilung und kulturhistorische Deutung dieses wichtigen Fundes steht noch aus.

Veröffentlichungen: Die wissenschaftliche Auswertung der Funde und Befunde der neuen Grabungen in Verbindung mit naturwissenschaftlichen Untersuchungen des Siedlungsumfeldes ist noch nicht abgeschlossen. Über den Stand der laufenden Arbeiten am "Rappenplatz" informieren jährliche Grabungsberichte in der vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg herausgegebenen Schriftenreihe "Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg" (Theiss-Verlag). Über die Grabungen sowie über die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung im Bereich der Achalm insgesamt unterrichten ferner:


- G. Weihe, Vorgeschichtliche Siedlungsspuren auf der Achalm bei Reutlingen. Die Ausgrabungen am Rappenplatz. Reutlinger Geschichtsblätter NF 37, 1998, 9-135.
- U. Veit, Die Besiedlung der Achalm in urgeschichtlicher Zeit: Die neuen Ausgrabungen am "Rappenplatz". In: Kelten & Co.: Fundgeschichten rund um die Achalm, hrsg. vom Heimatmuseum Reutlingen. Reutlingen: Oertel & Spörer 2004, 40-57, 65f. [ISBN 3-88627-281-8]

Sponsoren: Für finanzielle Unterstützung des Projekts danken wir der Stadt Reutlingen, der Gemeinde Eningen u. A., dem Reutlinger Geschichtsverein, dem Eninger Heimat- und Geschichtsverein, dem Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und weiteren privaten Sponsoren.

Besucherhinweis: Die Siedlungsterrasse am "Rappenplatz" sowie die Reste eines Grabhügels auf dem Scheibengipfel sind im Gelände noch gut zu sehen. Der Grabhügel befindet sich in der Nähe des Wanderparkplatzes auf dem "Scheibengipfel" westlich neben der Wasserpumpstation. Die im Gelände ebenfalls gut sichtbare Siedlungsterrasse am "Rappenplatz" erreicht man über den normalen, gepflasterten Wanderweg zum Achalmgipfel (siehe z.B. TK 25, Blatt 7521 Reutlingen).Verlassen Sie diesen Weg wenig unterhalb der Baumgrenze und folgen Sie dem hier abzweigenden Feldweg, der nach Eningen führt. Nach etwa 200 Metern erreichen sie den "Rappenplatz".

Spendenaufruf: Zur Fortführung der archäologischen Forschungen im Bereich der Achalm werden dringend weitere Mittel benötigt. Wir möchten alle Interessierten deshalb an dieser Stelle um Unterstützung unserer Untersuchungen zur frühen Geschichte des Reutlinger Raums. Spenden können unter Angabe der Zweckbestimmung ("Projekt Achalm") auf das Konto 470 09 97 des Tübinger Vereins zur Förderung der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie e.V. bei der Landesgirokasse (BLZ 600 501 01) überwiesen werden. Nähere Informationen über das Projekt erhalten Sie über die untengenannte Kontaktadresse.

Kontakt: Prof. Dr. Ulrich Veit