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Eduard Zeller (1846)

Eduard Zeller: „Die Theologie der Gegenwart und die theologischen Jahrbücher“. – In: Theologische Jahrbücher. – 5. 1846, 1, S. 1-28

Volltext (noch nicht freigegeben)

Literaturgattung:

Vorwort des Herausgebers und programmatische Zusammenfassung der eigenen Anliegen

Fach:

Theologie allgemein

Inhaltliche Zusammenfassung:

Geschildert wird die Ausgangssituation der deutschen Theologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts: der Kampf zwischen Rationalismus und Supranaturalismus bei durchaus verwandten Ausgangspositionen und fruchtlosen Ergebnissen (S. 1-2). Friedrich Schleiermacher (1768-1834) behandelt dann als „der Kant der protestantischen Theologie“ die Theologie in philosophischer Weise, indem er sie „auf den Boden des Selbstbewusstseins versetzt“ (S. 4). Zeller kritisiert daran, dass der philosophische Zugriff nur indirekt, nicht offen und konsequent geschehe, wie er es für die jüngere Tübinger Schule im Anschluss an Hegel reklamiert: „die Schleiermacher’sche Gefühlstheologie musste ihren Platz an der Spitze der theologischen Entwicklung dem Hegel’schen System abtreten“ (S. 5). Zeller spielt auf die teilweise radikalen Folgerungen aus der Hegelschen Philosophie etwa bei David Friedrich Strauß (1808-1874) für die theologische Methodik an: „Hegelianismus“ und „destructive Kritik“ galten in der öffentlichen Wahrnehmung als gleichbedeutend (S. 5). Das „rücksichtslose Auftreten“ (S. 8) der Bibel- und Dogmenkritik hat dabei erheblich zum Entstehen einer populären Gegenbewegung unter Führung der „Evangelischen Kirchenzeitung“ Ernst Wilhelm Hengstenbergs (1802-1869) geführt (S. 6-8). Charakteristisch für Zellers Selbstverständnis ist die Gegenüberstellung der „Evangelischen“, d.h. der „Parthei der Reaktion“ (S. 8. 7), und der „Lichtfreunde“ (S. 8), d.h. der von Aufklärung und Rationalismus beeinflussten Theologen.

Vieler Anhänger insbesondere aus der Schule Schleiermachers erfreut sich „eine Parthei der Vermittlung“ (S. 8), die den „Dualismus des religiösen Gefühls und des wissenschaftlichen Denkens“ systematisiert (S. 9). So soll „die Wissenschaft ... selbständig forschen, aber ... kein Resultat liefern, das gewissen vorher feststehenden Ueberzeugungen widerspricht“ (S. 9).

Zeller beschreibt die theologische Landschaft des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert folgendermaßen: im konservativen Spektrum sowohl konfessionell lutherischer als auch positiv-unionistischer Provenienz verbindet sich ein traditioneller Inhalt mit einer teilweise modernen Form (S. 10). Entscheidend ist hier der dezidiert objektive bzw. positive, an der kirchlichen Gestalt und Bindung an das überlieferte Bekenntnis interessierte Ansatz der Theologie.

An der vermittelnden Position kritisiert Zeller sicherlich zutreffend die individualistische Vielfalt und Uneindeutigkeit. Als relativ am stärksten traditionelle Gruppe darin zeigt der den Pietismus auf. Dieser stehe den kirchlichen Bekenntnissen und überhaupt der kirchlichen Gestalt des Glaubens mit gewissen Reserven gegenüber, weil er sich auf den je individuellen Zugang zur Bibel als der einzig verbindlichen Autorität konzentiert (S. 11). Allerdings kritisiert Zeller zu Recht, dass die Bibelfrömmigkeit nicht frei bleibt von Anleihen bei Schleiermachers Norm des subjektiven frommen Bewusstseins (S. 12).

Die andere Gruppe im vermittelnden Spektrum nähert sich der traditionellen Frömmigkeit weniger durch die Achtung der Schriftautorität als durch Akzentuierung der Kirchlichkeit der Theologie. Diese bleibt aber in ihrer inhaltlichen Füllung nach Zellers Wahrnehmung recht variabel, weil sie nicht von den altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisschriften herkommt (S. 12-13).

Kirchenpolitisch verhalten sich die Anhänger der „Gefühlstheologie“ widersprüchlich und neigen dazu, gegen ihre innere Überzeugung im Zweifelsfall Entscheidungen für die konservativ-positive und nicht für die liberal-kritische Seite zu fällen (S. 14f.). Glauben und Wissen werden durch das „Bedürfnis des theologisirenden Subjects vereinigt“ (S. 14); ihr Verhältnis bleibt aber zu vage, um im Konfliktfall durchgehalten werden zu können. Zeller stellt dem „eklektischen“ ein „prinzipielles“ Vorgehen gegenüber (S. 14), dem er sich selbst verpflichtet sieht.

Eine dritte Gruppe innerhalb des Vermittlungslagers unterscheidet zwischen historisch-kritischer Forschung im esoterischen Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen und einer – um des sozialen Friedens willen abgelehnten – Popularisierung der Ergebnisse dieser Forschung (S. 15f.). Davon zu unterscheiden ist eine vierte Gruppe, die sich von der Schleiermacher-Tradition vor allem den kritischen Zugriff auf die Lehrgehalte zu eigen gemacht haben, allerdings Zeller zufolge immer noch zu sehr im Bereich des Subjektiven oder Spekulativen verbleiben (S. 16). Die Selbstwahrnehmung der jüngeren Tübinger Schule kommt aber darin zum Ausdruck, worin Zeller seine Gemeinsamkeit mit dieser Gruppe sieht: „durch den freien kritischen Geist, durch die besonnene Wahrheitsliebe, durch die umsichtige Vielseitigkeit“ (S. 17).

Auf der theologischen Linken befinden sich diejenigen Gruppen, bei denen das kritisch-rationale Element das irrational-subjektive überwunden hat. Allerdings sieht Zeller für den Rationalismus nur eine Zukunft in einer Verbindung mit der spekulativen, philosophisch begründeten Theologie Hegels (S. 17f.). „Spekulativ“ bedeutet dabei, sich zur Religion nicht nur als zu einer Tatsache in Beziehung zu setzen, sondern sie erklären, herleiten, „aus dem allgemeinen Wesen des Geistes“ begreifen zu wollen (S. 19). Dabei sieht sich Zeller einem geschichtsphilosophischen Fortschritts- und Entwicklungsgedanken verpflichtet, der die Rückkehr zu einer an Offenbarung und Bekenntnis orientierten Theologie als mit dem Fortgang der Geistesgeschichte unvereinbar betrachtet (S. 20-22).

Charakteristisch für die jüngere Tübinger Schule ist ihre Konsequenz, die jegliche Mischformen als „Eklektizismus“ ablehnt und „ein folgerichtig entwickeltes Princip“ sucht, von dem alles andere her bestimmt wird (S. 23). Zeller fordert zu einer Entscheidung zwischen den Extremen auf, damit „die theologischen Partheien ... in geschlossenen Gliedern in den Kampf ziehen“ (S. 23). Notwendig sei ein völliger „Umbau des theologischen Systems“ (S. 24) und die „rückhaltlose Anerkennung der Kritik und ihrer Resultate“, um von dorther etwas Positives aufzubauen (S. 24).

Zeller spitzt den Gegensatz zwischen älterer und jüngerer Tübinger Schule so zu: im Supranaturalismus ist Religion aufgrund göttlicher Offenbarung Voraussetzung aller Reflexion und Entfaltung des subjektiven Individuums; Gottes Reden und Wirken ermöglicht als objektiv vom Menschen unterschiedene und in Bibel und Bekenntnis fassbare Wirklichkeit erst das menschliche Reden und steht ihm als kritische Instanz gegenüber. Die jüngere Tübinger Schule hingegen sieht im menschlichen Bewusstsein den Ausgangspunkt und betrachtet Bibel wie Dogmen als durchaus relatives Produkt subjektiver bzw. zeitgeschichtlicher Entwicklung und Reflexion (S. 26f.). Die Geschichte des Geistes ist dann „nicht blos ein Geschehen an ihm, sondern ein Geschehen durch ihn, seine eigene That und Entwicklung“ (S. 27).

Abschließend beschreibt Zeller die Funktion der „Theologischen Jahrbücher“ damit, dem dargestellten Anliegen Rechnung zu tragen: es „liegt in der Natur der Sache, dass der Charakter einer wissenschaftlichen Zeitschrift, die mehr als ein bloßes Repertorium sein will, vorzugsweise durch die Richtung des Herausgebers bestimmt wird, und insofern mag unser theologisches Glaubensbekenntnis immerhin zugleich als das der Jahrbücher betrachtet werden“ (S. 28).