Neuere Geschichte

Mission/s/Kartographie: Funktionen, visuelle Strategien, Wissenstransfer (1500–1800)

Workshop am Graduiertenkolleg 1662 "Religiöses Wissen" der Eberhard Karls Universität Tübingen, 4.–5. November 2016

organisiert von Irina Pawlowsky (Tübingen), Dr. Fabian Fechner (Hagen), Dr. Ariane Koller (Bern) und Dr. Christoph Mauntel (Tübingen).


[Programm] [Workshopbericht (englisch)] [Call for Papers]


Karte der jesuitischen Provinz Paraguy von Giovanni Petroschi S.J., 1732.

Karte der jesuitischen Provinz Paraguy von Giovanni Petroschi S.J., 1732. Quelle: Wikimedia Commons.

Karten von Missionsgebieten erweiterten nicht nur maßgeblich das geographische Wissen, sondern waren auch integraler Bestandteil von politischen und religiösen Diskursen in ihrer Zeit. Ordensleute, Weltgeistliche und protestantische Missionare trugen weltweit Wissen zu Topographie und Landesnatur zusammen, das sowohl ihren eigenen Beobachtungen als auch dem Wissen der lokalen Bevölkerung entstammte, und glichen diese Kenntnisse mit tradierten Vorstellungen ab. Über Briefe, Missionsperiodika und wissenschaftliche Zeitschriften fanden die neuen geographischen Erkenntnisse selektiv Eingang in den europäischen Gelehrtendiskurs, etwa in die von La Condamine und Humboldt dominierte Debatte um eine Verbindung zwischen Amazonas und Orinoko. Gleichzeitig fungierten frühneuzeitliche Karten von Missionaren bis ins frühe 20. Jahrhundert aber auch als Argument im Kontext politischer Grenzkonflikte.


Die vielschichtige Bedeutung frühneuzeitlicher Missionskarten wurde in der Forschung erkannt. Das umfangreiche Korpus stand dabei jedoch primär im Rahmen von biographischen Studien, im Abgleich mit der geographischen "Wirklichkeit" oder als Teil der Leistungsschau eines religiösen Ordens im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Hier möchte der Workshop ansetzen und die methodischen Impulse des pictorial und des spatial turn sowie eines erweiterten Wissensbegriffs für eine weiterführende interdisziplinäre Analyse der Karten fruchtbar machen. Es stehen dabei folgende Fragen im Mittelpunkt:


  • Wie wird Wissen auf Karten umgesetzt bzw. produziert und woher stammt es? Wie wird indigenes Wissen inkorporiert?
  • Was wird auf den Karten dargestellt und welcher Wissensbegriff geht damit einher? Entwickeln Missionsgesellschaften/Orden dabei eine spezifische kartographische (Bild-)Sprache?
  • Wozu stellen Missionare Karten her? Wie wird aus der Karte ein Argument? Wie wirkt sie in einer Missionsgesellschaft/einem Orden nach innen und außen?
  • Welche Räume werden durch Missionskarten konstruiert? Wie wirken sich religiöse und koloniale Weltbilder in Missionskarten aus? Wie geht man mit Misserfolg in den Missionen oder dem Fehlen geographischer Daten um?
  • Wie wird das Wissen der Missionare verbreitet und rezipiert? Welche Rolle spielt die Missionskartographie für die Aufklärung? Welchen Wissenstransfer gibt es zwischen Missionsgesellschaften und wissenschaftlichen Akademien?
  • Wie wirken Karten und andere Textarten wie Reiseberichte, Naturgeschichten oder Koordinatentabellen zusammen?


Karte der chinesischen Provinz Yunnan von Martino Martini S.J., 1655.

Karte der chinesischen Provinz Yunnan von Martino Martini S.J., 1655. Quelle: Wikimedia Commons.

Anhand dieser Fragen soll diskutiert werden, ob eine bestimmte Bildwirkung, eine spezifische Funktion oder eine charakteristische Darstellungstechnik in den Quellen festzustellen ist. Gleichzeitig soll gefragt werden, inwiefern der Begriff "Missionskartographie" (als Analogbildung zu "cartographie missionnaire" und "missionary cartography") genau diese möglichen Spezifika erfasst. Zur Schärfung des Begriffs können neben Karten zur Überseemission auch Karten zur Binnenmission und zur Rekatholisierung hinzugezogen werden.


Der Workshop möchte verschiedene analytische Ansätze miteinander verbinden und richtet sich deshalb an Teilnehmende aus der Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte/Bildwissenschaft, historischen Geographie, Medienwissenschaft, Theologie und benachbarten Disziplinen. Dabei soll vom Vortragsformat abgewichen werden. Stattdessen stellen die Teilnehmenden ca. 10 Minuten lang ausgewählte Karten vor, die anschließend gemeinsam für ca. 30 Minuten analysiert und diskutiert werden. Im Vorfeld sollen den Teilnehmenden die Karte(n) und ggf. wenige Seiten kontextualisierendes Material zur Verfügung gestellt werden. Diskussionssprachen sind Deutsch und Englisch, passive Deutschkenntnisse sind daher erforderlich.


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Programm

Freitag, 4. November 2016

  • Michael Mann: Die Tranquebar Mission und die Kartographie Südindiens im 18. Jahrhundert
  • Amrei Buchholz: Jesuitische Repräsentationsstrategien in der Kartographie Paraquarias
  • Irina Pawlowsky: Missionsräume am Amazonas: Produktion, Funktion und Rezeption jesuitischer Kartographie im 17. und 18. Jahrhundert
  • Christoph Mauntel: Kommentar

Samstag, 5. November 2016

  • Tobias Winnerling: Martino Martini: Die Societas Jesu im Novus Atlas Sinensis (1655)
  • Mario Cams: The Kangxi-atlas or 'Overview Maps of Imperial Territories' (1718–21): A Jesuit Atlas of China?
  • Renate Dürr: Kartographierte Wunder: Claude Sicard S.J. (1677-1726) und seine Ägyptenkarten
  • René Smolarski: Die Bedeutung missionskartographischer Arbeiten für die geographische Verlagsanstalt Justus Perthes in Gotha
  • Fabian Fechner: Missionskartographie als thematische Kartographie: Heinrich Scherers "Geographia Hierarchica" (1703)
  • Ariane Koller: Kommentar


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