Uni-Tübingen

Neue Strategie für den Einsatz „alter“ Antibiotika: Wirkstoffkombination gegen multiresistente Krankheitserreger

Fernsehbeitrag zur Pressemitteilung des SFB 766 vom 10.02.2014 : SWR -Baden-Württemberg Sonntag, 02.03.2014 in der Landesschau aktuell, 19.45 Uhr:

 

Tübinger Forscher entdecken, warum Bakterien das bewährte Antibiotikum Fosfomycin teilweise ins Leere laufen lassen

Die Ausbreitung multiresistenter Krankheitserreger gilt in der medizinischen Fachwelt und der breiten Öffentlichkeit inzwischen gleichermaßen als eine gravierende Bedrohung. Entsprechend ist der Ruf nach neuen schlagkräftigen Antibiotika in den vergangenen Jahren immer lauter geworden. Doch die Entwicklung neuer Wirkstoffe ist nicht nur teuer, sondern auch sehr langwierig. Konzentrieren sich Wissenschaftler auf die Optimierung bereits vorhandener Therapien, kann wertvolle Zeit gewonnen werden.

Diesen Weg eröffnet die Arbeitsgruppe von Professor Christoph Mayer vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen, die zum Sonderforschungsbereich „Die bakterielle Zellhülle“ (SFB 766) gehört. In Kooperation mit der Graduiertenschule Chemische Biologie der Universität Konstanz und gefördert durch ein Dr. Marietta Lutze-Stipendium der Firma Dr. Kade entdeckten die Forscher, wie krankheitserregende Bakterien der Gattung Pseudomonas einen wichtigen Baustein ihrer Zellwand recyceln und dabei die Wirkung des Antibiotikums Fosfomycin umgehen. Die Wissenschaftler haben durch die Aufklärung dieser „inneren“ Resistenz Ansatzpunkte für den effizienteren Einsatz des Wirkstoffs gefunden.

Bakterien der Gattungen Pseudomonas und Acinetobacter verursachen vor allem in Krankenhäusern vielfach Wundinfektionen, lebensbedrohliche Lungen- und Hirnhautentzündungen sowie teilweise tödliche Blutvergiftungen (Sepsis) und besitzen eine hohe „innere“ Resistenz gegenüber einer Vielzahl antibiotischer Wirkstoffe. Die Zellhülle der Bakterien ist anders aufgebaut als die äußere Membran menschlicher Zellen. Vor allem enthalten die Bakterien Zellwände aus Peptidoglykan, ein aus Zuckern und Aminosäuren zusammengesetztes Makromolekül, das große Netzwerke bildet und der Zelle hohe mechanische Stabilität verleiht. Für Bakterien ist die Peptidoglykan-Herstellung unerlässlich. Daher stellt dieser Stoffwechselweg allgemein ein wichtiges Angriffsziel für antibiotische Wirkstoffe dar. Wenn die Bakterien keine neuen Zellwände bilden können, können sie sich auch nicht vermehren – die Infektion wird gestoppt.

 

Das Antibiotikum Fosfomycin beispielsweise verhindert den Aufbau der bakteriellen Zellhülle, indem es die Herstellung einer Vorstufe des Peptidoglykans hemmt. Die Wissenschaftler entdeckten jedoch, dass die Pseudomonas-Bakterien die Vorstufen nicht immer neu bilden, sondern teilweise auch die vorhandenen als Bausteine wiederverwenden. Die Peptidoglykan-Vorstufen umgehen durch einen „Bypass“ den durch Fosfomycin gehemmten Schritt bei der Neubildung und schränken so die Wirksamkeit des Antibiotikums stark ein: nach Berechnungen werden circa 50 Prozent der Vorstufen aus Recyclingmaterial gebildet.

 

Die Wissenschaftler wollten im nächsten Schritt herausfinden, ob der neu entdeckte Recyclingweg die Wirksamkeit des Fosfomycins beeinflusst. In Pseudomonas-Bakterienstämmen machten sie zwei neuartige Gene ausfindig, die im Recyclingweg notwendig waren und schalteten sie im Versuch unter Laborbedingungen aus. Dadurch konnten sie die „innere“ Resistenz gegen Fosfomycin überwinden, das Antibiotikum wirkte deutlich effizienter. Recherchen der Wissenschaftler ergaben, dass die untersuchten Gene bei einer Vielzahl von Bakterien, darunter vielen Krankheitserregern, zu finden sind. Sie alle können vermutlich den Recyclingweg nutzen und damit die Wirkung von Fosfomycin abschwächen.

 

Anders als im Labor lassen sich Gene in der Natur oder in den Bakterien eines infizierten Menschen nicht einfach ausschalten. Dafür bieten jedoch die Genprodukte, die Enzyme, gute Angriffspunkte für zusätzliche Medikamente. „Wir kennen nun wichtige Ansatzpunkte, um die Wirkung von Fosfomycin zu optimieren. Sinnvoll wäre es, das Antibiotikum durch einen passenden Wirkstoff zu ergänzen, der das Peptidoglykan-Recycling hemmt“, erklärt Christoph Mayer. Seiner Einschätzung zufolge könnte die rationale Kombination bekannter Antibiotika mit neuen Wirkstoffen ein vielversprechender Ansatz bei der Entwicklung neuer Therapien darstellen.

 

Originalpublikation:

Jonathan Gisin, Alexander Schneider, Bettina Nägele, Marina Borisova, Christoph Mayer (2013) A cell wall recycling shortcut that bypasses peptidoglycan de novo biosynthesis. Nature Chemical Biology, 9: 491-93, doi 10.1038/nchembio.1289.

 

Kontakt:

Prof. Dr. Christoph Mayer

Universität Tübingen

Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin (IMIT

Sonderforschungsbereich 766 „Die bakterielle Zellhülle“

Telefon +49 7071 29-74645

christoph.mayer[at]uni-tuebingen.de

 

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Wilhelmstraße 5 · 72074 Tübingen · Germany

Telefon +49 7071 29-77853

Telefax +49 7071 29-5566

 

Researchers say new components in medicine could help conventional antibiotics overcome resistant bacteria

Researchers say new components in medicine could help conventional antibiotics overcome resistant bacteria.
The spread of multi-resistant pathogens is of increasing concern to medical researchers and laypeople alike. Yet it is expensive and time-consuming to develop new antibiotics. Researchers at the Universities of Tübingen and Konstanz are now looking at ways to save time by making current
treatments more effective.
A team headed by Professor Christoph Mayer, of the Interfaculty Institute of Microbiology and Infection Medicine, in collaboration with the Graduate School of Chemical Biology in Konstanz, has discovered how pseudomonas bacteria recycle an important building-block in their cell envelope – thereby avoiding the
effects of the broad-spectrum antibiotic fosfomycin. Having isolated this point of resistance, the researchers have now found new approaches toward making the antibiotic more efficient.
Pseudomonas and acinetobacter bacteria can infect wounds and lead to life-threatening pneumonia, meningitis and septicemia. They are highly resistant to many antibiotics. The bacterial cell envelope is structured differently from human cell membranes, being made of peptidoglycan, a macromolecule
composed of sugars and amino acids. Peptidoglycan forms large networks, giving the cell a high mechanical stability, and is essential to these bacteria. It is therefore a target for antibiotics aiming to stop the bacteria from forming new cell walls and reproducing.
For example, the antibiotic fosfomycin prevents growth of the bacterial cell envelope by inhibiting peptidoglycan production in its early stages. But the researchers found that pseudomonas bacteria did not always produce the preliminary building-blocks of peptidoglycan – instead recycling existing ones and bypassing the point at which fosfomycin could inhibit cell reproduction. This greatly reduced the effectiveness of the antibiotic. The researchers calculated that roughly half of the early stages of peptidoglycan were being made of recycled material.
The researchers isolated two new genes in pseudomonas bacteria which were needed for this recycling process and switched them off in the laboratory, overcoming this internal resistance to fosfomycin. The relevant genes, it turns out, are present in many bacteria, including many which cause disease in humans. It is possible that all of them could use the recycling technique to reduce the effectiveness of fosfomycin.
Unfortunately it is not so easy to switch off bacterial genes once they have attacked a person. However, enzymes could provide new targets for future medication. "We now have important starting-points from which to optimize the effectiveness of fosfomycin. It would make sense to supplement the antibiotic with an appropriate component which would inhibit peptidoglycan recycling," says Christoph Mayer. He believes that such new combinations of well-known antibiotics are the way forward to new and possibly more effective treatments for bacterial infections.

More information: Jonathan Gisin, Alexander Schneider, Bettina Nägele, Marina Borisova, Christoph Mayer (2013) "A cell wall recycling shortcut that bypasses peptidoglycan de novo biosynthesis." Nature Chemical Biology, 9: 491-93, DOI: 10.1038/nchembio.1289.


Provided by Universitaet Tübingen