Uni-Tübingen

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02.08.2017

Alte DNA enthüllt die Abstammung der bronzezeitlichen Minoer und Mykener

Wissenschaftlerteam unter Beteiligung der Universität Tübingen untersucht die genetische Herkunft der Menschen der frühen europäischen Hochkulturen im heutigen Griechenland

Die minoische und die später einsetzende mykenische Kultur der Bronzezeit in der Ägäis waren im dritten und zweiten vorchristlichen Jahrtausend Europas erste Schriftkulturen und gingen über in das klassische Griechenland. Kulturelle Innovationen wie die Schrift, ausgedehnte Palastbauten und die dynamische Kunst der sogenannten Minoer, die plötzlich in der Isolation Kretas aufzutauchen schienen, nährten Spekulationen, dass diese Menschen aus anderen fortschrittlicheren Gesellschaften eingewandert seien. Nun hat ein internationales Team von Wissenschaftlern durch die Untersuchung von alter menschlicher DNA aus der Bronzezeit mehr Licht in das Rätsel gebracht. Daran waren Forscherinnen und Forscher vom Institut für naturwissenschaftliche Archäologie und des Zentrums für Bioinformatik der Universität Tübingen beteiligt. Ihre aktuell in der Fachzeitschrift Nature erscheinende Veröffentlichung legt nahe, dass die sogenannten Minoer keineswegs neu in das Gebiet des heutigen Griechenlands einwanderten, vielmehr wurzelte ihre Herkunft direkt in der Ägäis. Die ursprünglichen Ahnen sowohl der als Minoer bezeichneten Einwohner Kretas als auch der als Mykener bezeichneten bronzezeitlichen Einwohner des griechischen Festlandes waren Populationen aus dem steinzeitlichen Westanatolien und Griechenland. Die beiden Gruppen waren eng miteinander verwandt – sowie auch mit den heutigen Griechen.

Die beiden Schriftformen der minoischen Kultur (ca. 2600 bis 1100 v. Chr.), die sogenannte Linearschrift A und eine nur auf Kreta verwendete Hieroglyphenschrift, konnten bis heute nicht entziffert werden. Die mykenische Kultur (ca. 1600 bis 1100 v. Chr.), die viel von der minoischen Technologie und Kultur aufnahm, setzte deutlich später ein. Sie existierte aber parallel für einige hundert Jahre auf dem Festland, bevor sich diese Kultur auch auf Kreta ausbreitete. Die Linearschrift B der Mykener entspricht einer frühen Form des Griechischen. „Wir wollten wissen, ob und inwieweit die Menschen, die diese Kulturen geschaffen haben, genetisch miteinander verwandt waren. Wer waren ihre Vorfahren, und finden sich ihre genetischen Spuren noch bei heutigen Griechen?“, beschreibt Professor Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Studienleiter an der Universität Tübingen, die Forschungsfragen.

Umfassende genetische Vergleiche

Die Forscher analysierten genomweite Daten von 19 Individuen, darunter Minoer, Mykener, ein neolithisches Individuum vom griechischen Festland sowie bronzezeitliche Individuen aus Südwestanatolien. Dies gelang, obwohl die DNA unter den Klimabedingungen im Mittelmeerraum in der Regel nur sehr schlecht konserviert ist. Diese Daten verglichen die Forscher mit fast 3000 alten und neuen DNA-Sätzen und konnten dadurch die Verwandtschaft der Minoer und Mykener klären. „Die sogenannten Minoer waren einheimisch, sie stammten von den ersten steinzeitlichen Viehhaltern aus Westanatolien und der Ägäis ab“, berichtet Krause. „Außerdem ergaben die Daten eine enge Verwandtschaft zu den sogenannten Mykenern.“ Minoer und Mykener wie auch die Nachbarn im bronzezeitlichen Anatolien stammten hauptsächlich von einer neolithischen Population aus Anatolien ab mit einem kleinen Einschlag aus dem ferneren Osten, von Populationen aus dem Kaukasus und Iran.

„Man ging früher davon aus, dass dieser östliche genetische Einschlag durch Viehhalter aus der Steppe im Norden nach Europa gekommen war. Wir wissen nun, dass die ‚Minoer‘ zwar die östlichen Gene in sich trugen, jedoch waren sie mit den nördlichen Steppenpopulationen nicht näher verwandt – während die ‚Mykener‘ beide Verwandtschaften aufweisen“, sagt Krause. Dies zeige, dass das genetische Erbe aus dem Kaukasus und Iran unabhängig nach Europa getragen worden sein muss, möglicherweise durch eine bisher unbekannte Wanderungsbewegung. „Außerdem weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Viehhalter aus den nördlichen Steppen zwar bis aufs griechische Festland wanderten, jedoch nicht bis zu den ‚Minoern‘ auf Kreta.“

Ein zeitlicher Rahmen für frühere Wanderungsbewegungen

Die Ergebnisse der neuen Studie klären auch die zeitlichen Abläufe der Wanderungsbewegungen: „DNA-Proben aus dem späten Neolithikum Griechenlands, ungefähr aus den Jahren um 4100 v. Chr., tragen weder die östliche noch die nördliche Verwandtschaft in sich. Für die genetische Durchmischung ergibt sich ein Zeitfenster vom vierten bis zweiten Jahrtausend v. Chr.“, erklärt David Reich von der Harvard Medical School und dem Broad Institute. Für eine genauere zeitliche Eingrenzung müssten weitere Untersuchungen folgen.

Obwohl heutige Griechen nicht mit den bronzezeitlichen Populationen in ihrem Gebiet gleichzusetzen sind, so sind sie doch mit den „Mykenern“ eng verwandt. Sie haben sich mit anderen Gruppen gemischt. „Die Populationen im heutigen Griechenland zeigen eine deutliche Kontinuität zur Bronzezeit, waren aber sicherlich nicht isoliert“, sagt Krause. Iosif Lazaridis von der Harvard Medical School setzt hinzu: „Es ist bemerkenswert, wie beständig die Verwandtschaft zu den ersten europäischen Bauern in Griechenland und in anderen Teilen Südeuropas nachzuweisen ist. Doch Durchmischungen mit anderen Populationen hat es immer gegeben. Es gab mindestens zwei Einwanderungswellen in die Ägäis noch vor der Zeit der sogenannten ‚Minoer‘ und ‚Mykener‘ und einige weitere danach.“

Publikation:

Iosif Lazaridis, Alissa Mittnik, Nick Patterson, Swapan Mallick, Nadin Rohland, Saskia Pfrengle, Anja Furtwängler, Alexander Peltzer, Cosimo Posth, Andonis Vasilakis, P.J.P. McGeorge, Eleni Konsolaki-Yannopoulou, George Korres, Holley Martlew, Manolis Michalodimitrakis, Mehmet Özsait, Nesrin Özsait, Anastasia Papathanasiou, Michael Richards, Songül Alpaslan Roodenberg, Yannis Tzedakis, Robert Arnott, Daniel M. Fernandes, Jeffery R. Hughey, Dimitra M. Lotakis, Patrick A. Navas, Yannis Maniatis, John A. Stamatoyannopoulos, Kristin Stewardson, Philipp Stockhammer, Ron Pinhasi, David Reich, Johannes Krause, George Stamatoyannopoulos: Genetic origins of the Minoans and Mycenaeans. Nature, DOI: 10.1038/nature23310

Kontakt:

Prof. Dr. Johannes Krause
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Universität Tübingen
Telefon +49 3641 686-600
krausespam prevention@shh.mpg.de

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
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Forschungsredakteurin
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