Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2012: Forschung

Währungsmanipulation zahlte sich schon vor 400 Jahren nicht aus

Tübinger Doktorand untersuchte das „Prager Münzkonsortium“ aus dem Dreißigjährigen Krieg – und stieß auf Parallelen zur gegenwärtigen Finanzkrise

Erhöhte Geldproduktion, Inflation, sinkende Löhne: Manchmal wiederholt sich Geschichte, so scheint es. Bereits vor 400 Jahren führte die massive Ausweitung der Geldmenge im alten deutschen Reich zu einer Katastrophe, wie Steffen Leins, Doktorand der Universität Tübingen, in seinem Buch „Das Prager Münzkonsortium 1622/23“ zeigt. Einige wenige Profiteure wurden dabei sehr reich, die Bevölkerung verarmte und der Kaiser musste am Ende den Staatsbankrott erklären.

Steffen Leins war keineswegs auf der Suche nach Erklärungen für eine Finanzkrise, als er für sein Buch – entstanden aus seiner Magisterarbeit – recherchierte. Als Historiker interessierte ihn vielmehr der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) mit seinen Akteuren und Auswirkungen. „Ich habe mich mit Kriegs-Profiteuren wie Wallenstein und Fürst Liechtenstein beschäftigt“, erklärt er. Gerade zu letzterem sei bisher kaum geforscht worden. Bei der Durchforstung von Wiener Archivakten stieß Leins auch auf die Prager Bankiers Jakob Bassevi und Hans de Witte, deren Praktiken an heutige Spekulanten erinnern. So war de Witte ein Pionier sogenannter „Leerverkäufe“: Er versprach Kriegsgewinne aus Gebieten, die noch gar nicht besetzt waren. „Er hat dafür Wallensteins guten Namen benutzt und tatsächlich Abnehmer gefunden.“

Die zwei Bankiers stehen auch hinter dem Prager Münzkonsortium, das in der fatalen Währungskrise eine Hauptrolle spielte. Anfang 1622 drohte sich der Krieg von Böhmen aus auf das Reich und Mitteleuropa auszuweiten. Kaiser Ferdinand II. wusste, dass er viel Geld für die Finanzierung brauchen würde und verpachtete sein Münzrecht für mehrere Länder an das Konsortium. Die Silbermünze sollte mit Kupfer gestreckt werden, um seine Söldner zu bezahlen. Bassevi und de Witte schickten daraufhin ihre Silberhändler durch Zentraleuropa, die mit den manipulierten Münzen wertvolles altes Silber aufkauften. Mehr als hundert Tonnen wurden in böhmischen, mährischen und niederösterreichischen Münzstätten mit billigerem Kupfer eingeschmolzen und wieder in Umlauf gebracht. Das Konsortium machte Umsätze in Höhe mehrerer Staatshaushalte, die Bankiers schöpften große Gewinne ab.

Allerdings nur zum Teil für sich selbst: Als Jude und Calvinist waren sie gesellschaftlich wenig angesehen und brauchten die Rückendeckung einflussreicher katholischer Adliger wie Wallenstein und Fürst Liechtenstein. Die mächtigen Statthalter des Kaisers im unterworfenen Böhmen wussten die Inflation für sich zu nutzen. Sie enteigneten den einheimischen Adel und kauften dessen Land günstig auf. Die Bevölkerung merkte schnell, dass das neue Geld wenig Gegenwert besaß. Explodierende Preise für Nahrungsmittel und sinkende Löhne führten zu einer Hungersnot. Die Wirtschaftskrise zwang den Kaiser 1624 dazu den Staatsbankrott zu erklären und die Währung abzuwerten. Es hatte sich erwiesen, dass es gefährlich war, in einer Krise die Geldmenge auszuweiten.

Die Privatisierung „staatlicher“ Hoheitsrechte für den Profit einiger weniger – solche Strukturen erinnern durchaus an die Deregulierung der Finanzmärkte im 20. Jahrhundert. Die Finanzkrise sei zwar mit der damaligen Kriegssituation schwer vergleichbar, sagt Leins. Dennoch hätten ihn die „spannenden und auch tragischen“ Parallelen, die sich im Lauf seiner Forschung ergaben, überrascht. Entsprechend interessieren sich die Medien für sein Buch, das inzwischen mit drei Wissenschaftspreisen ausgezeichnet ist und sich gut verkauft. „Das Echo war vermutlich stärker, als man es normalerweise für ein Fachbuch erwarten darf“, schmunzelt der Doktorand. Für seine Dissertation hat er sich inzwischen einem weiteren Akteur des Dreißigjährigen Krieges zugewandt: Peter Melander, ein Calvinist aus einfachen Verhältnissen, arbeitete sich als Kriegsunternehmer hoch, wechselte die Seite und wurde zum Reichsgrafen und Oberbefehlshaber des katholischen Kaisers. „Auch hier beschäftigen mich wieder wirtschaftsgeschichtliche Fragen“, sagt Leins, „und insbesondere das Verhältnis von Privatisierung und staatlichem Gewaltmonopol.“

Antje Karbe