Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2017: Forschung

Neandertaler in Skandinavien gab es möglicherweise doch

Wissenschaftler und Laienforscher stritten seit Langem darüber – Dank Trine Kellberg Nielsen arbeiten sie vielleicht bald zusammen.

Dr. Trine Kellberg Nielsen nahm am 2. Februar 2017 den Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie aus den Händen von Professor Dr. Nicholas Conard vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters entgegen. Ausgezeichnet wurde von der Universität Tübingen der innovative und mutige Forschungsansatz ihrer Dissertation ‚Northern Neanderthals: A systematic assessment of the possibility of a pre-modern human occupation of southern Scandinavia‘.

Die Frage nach Neandertalern in Südskandinavien ist zumindest unter Archäologen eine emotionale. Trine Kellberg Nielsen von der Universität Aarhus in Dänemark stieß deshalb mit ihrem Dissertationsprojekt in der Fachwelt zunächst auf Irritation. Seit den 1960er-Jahren gibt es eine kontroverse Debatte zwischen akademischen Forschern und Hobbyarchäologen, ob Südskandinavien im Allgemeinen und Dänemark im Besonderen während einer Warmphase zwischen den letzten Eiszeiten (der sogenannten Eem-Zeit) von Neandertalern besiedelt war. Laudatorin PD Dr. Miriam Noel Haidle, Wissenschaftliche Koordinatorin der Forschungsstelle The Role of Culture in Early Expansions of Humans (ROCEEH), lobte deshalb Kellberg Nielsens besonderen Verdienst „eine oft hochemotionale Diskussion zwischen Amateur- und professionellen Archäologen auf ein breites neues wissenschaftliches Fundament ohne Polemik gestellt zu haben. Dabei hat sie die Potentiale beider Gruppen für die Frage gewinnbringend einbezogen.“

Die Archäologin Kellberg Nielsen wertete mithilfe der Nationalen Bohrloch-Datenbank Gesteinsschichten aus. Auf diese Weise konnte sie Zeitfenster eingrenzen, in der Umweltbedingungen geherrscht haben, die eine Besiedlung durch Neandertaler zumindest theoretisch möglich machen. Das hatte die akademische Forschung bisher ausgeschlossen. Realistisch allerdings sei dies eher nicht, meint Kellberg Nielsen. Weil diese Zeitfenster mit etwa 5000 Jahren erdgeschichtlich betrachtet sehr klein sind, halte sie es für wahrscheinlich, dass die Neandertaler maximal für vorübergehende Jagdzüge dänischen Boden betreten hätten.

Um die Anwesenheit der frühen menschlichen Verwandten wissenschaftlich beweisen zu können, müssten eindeutig den Neandertalern zuzuordnende Funde gemacht werden. Aufgrund geologischer Besonderheiten sind die in Dänemark in einer Bodentiefe von etwa zehn Metern zu erwarten. In Privatsammlungen von Amateurforschern gibt es zwar zahlreiche vermeintliche Neandertalerartefakte meist Steingeräte. Viele Laienforscher sind von deren Echtheit überzeugt, während die akademische Wissenschaft diese für unmöglich hält.

Kellberg Nielsen hat diese Debatten auf eine neue Basis gestellt, indem sie die Artefakte in Dänemark, die Neandertalern zugesprochen wurden, erneut gesichtet und ihre Echtheit überprüft hat. Die Schwierigkeit besteht in Skandinavien darin, dass es sehr große natürliche Feuersteinvorkommen gibt und die optischen Unterschiede zwischen menschlicher Bearbeitung und der Entstehung von bestimmten Steinformen durch Umwelteinflüsse sehr gering sind. So konnte sie in den Privatsammlungen keinen Beweis für die Anwesenheit der Neandertaler in Dänemark finden. Sie nutzte aber die Gelegenheit, die Hobbyarchäologen für die Suche nach eindeutigen Artefakten einfach mit ins Boot zu holen. Bei der Sichtung der vermeintlichen Neandertalerfunde und mehreren Feldexkursionen sensibilisierte sie die Freizeitforscher für Merkmale, anhand derer sich Artefakte und Landschaften identifizieren lassen, die auf den Aufenthalt von Neandertalern hindeuten. Auf diese Weise, so hofft sie, können gemeinsam neue mögliche Fundorte entdeckt werden. Und wenn bei Grabungen dann tatsächlich Neandertaler in Dänemark nachgewiesen würden, wäre das eine echte Sensation für Wissenschaftler und Hobbyarchäologen gleichermaßen.

Susanne Zahn

Förderpreis für ältere Urgeschichte und Quartärökologie

Der Förderpreis für ältere Urgeschichte und Quartärökologie ist von der Mineralwassermarke Eiszeitquell gestiftet und wird in 2017 zum 19. Mal verliehen. Ausgezeichnet werden herausragende Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern, die zur eiszeitlichen Archäologie, Quartärökologie und menschlichen Evolution forschen. Mit 5000 Euro ist er der am höchsten dotierte, jährlich vergebene Preis dieser Art für Archäologen.

Alle ausgezeichneten Wissenschaftler und ihre Projekte sind zu finden unter www.geo.uni-tuebingen.de/arbeitsgruppen/urgeschichte-und-naturwissenschaftliche-archaeologie/aeltere-urgeschichte-quartaeroekologie/foerderpreis/preistraeger.html.