Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2017: Studium und Lehre

Der steinige Weg an eine deutsche Hochschule

Das Refugee Programm der Universität Tübingen

Im Oktober 2016 haben sich 45 Geflüchtete an der Universität Tübingen auf den Weg gemacht: Im Refugee Programm der Stabsstelle Flüchtlingskoordination bereiten sie sich darauf vor, das Deutsche Sprachdiplom zum Hochschulzugang (DSH) abzulegen. Im Newsletter 3/2016 wurde bereits darüber berichtet. Innerhalb von zwei Semestern wollen sie Deutsch auf akademischem Niveau sprechen und schreiben lernen. Diese Herausforderung ist enorm, aber der Ehrgeiz der jungen Geflüchteten ist das auch. Sie wollen so schnell wie möglich zurück ins Studium, die meisten von ihnen haben vor ihrer Flucht bereits studiert oder sogar gearbeitet. Unterstützung bekommen sie von den Organisatorinnen des Kurses und von ihren Buddies, studentische Mentorinnen und Mentoren, die die Teilnehmenden bei der Orientierung im Unialltag zu unterstützen.

Die schwierigste Hürde ist sicher die Sprache: 20 Stunden pro Woche steht Deutsch auf dem Programm. Trotz allen Ehrgeizes und Fleißes werden nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Test im Juli bestehen. Der Druck ist hoch: Im November können sie zwar eine Nachholprüfung absolvieren, mindestens ein Semester im Studium werden sie aber dann trotzdem verloren haben.

Doch auch mit dem bestandenen Sprachdiplom wird es nicht einfach für die jungen Geflüchteten auf ihrem Weg ins Studium. Die Teilnahme am Refugee Program ist keine „Green Card“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dieselben Auswahlverfahren durchlaufen, wie alle anderen, die sich auf einen Studienplatz bewerben. In zulassungsbeschränkten Fächern, wie Medizin, sind die Chancen auf einen Studienplatz aber völlig unabhängig vom Fluchthintergrund nicht besonders gut – gerade dieses Fach ist jedoch für viele der Geflüchteten, die zum Großteil aus dem Bürgerkriegsland Syrien kommen, besonders attraktiv. Teil des Refugee Programms ist in den kommenden Monaten deshalb auch verstärkt die Studienberatung, um bei der Studienwahl zu unterstützen.

Zusätzlich zum Sprachunterricht setzten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in acht Wochenstunden mit Interkultureller Orientierung auseinander, die Kurse in deutscher Politik und Geschichte, Kultur, Gesellschaft und das Fach Interkulturelle Kommunikation umfasst. „Wenn wir die Leute zum Studienerfolg führen wollen, müssen wir sie als ganze Personen wahrnehmen“ sagt Christine Rubas. In Interkultureller Kommunikation gäbe es deshalb keine Noten. Es solle ein geschützter Raum entstehen, in der alle frei sind ihre Meinungen und Erfahrungen auszutauschen und so ihren eigenen Standpunkt in der deutschen Gesellschaft zu finden. Christine Rubas ist Mitglied der Stabsstelle Flüchtlingskoordination an der Universität Tübingen, hauptverantwortliche Organisatorin des Refugee Programms, sie unterrichtet die jungen Geflüchteten in Interkultureller Kommunikation und ist gleichzeitig deren Vertrauensperson und Ansprechpartnerin in allen Lebenslagen.

Teilnehmerinnen, Teilnehmer, die Dozierenden und manchmal auch die Buddies haben viel diskutiert über Deutschland, den Islam und ihre Rolle darin. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass ‚der Islam‘ bei weitem nicht so einheitlich ist, wie das manchmal dargestellt wird. Allein zu der Frage „Was bedeutet das Kopftuch?“ gab es im Kurs ungefähr so viele Meinungen wie Teilnehmende.

Eine Herausforderung für die jungen Geflüchteten sind auch die Lehrmethoden in Deutschland. „Zu Hause haben wir die wichtigen Informationen und Zusammenfassungen vom Lehrer bekommen und gelernt. Hier muss man viel lesen und die Zusammenfassungen selbst machen“ berichtet Mohammed Hazem Aref (25). Im kommenden Semester wird der Umgang mit akademischen Arbeitsweisen noch vertieft. Dazu wird es Kurse geben, in denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer speziell auf ihre zukünftigen Studienfächer vorbereiten können. Enas Alrihawi (21) freut sich schon sehr darauf, wenn sie im Sommersemester endlich auch Kurse in Chemie und Mathematik belegen kann. Ein Jahr und fünf Monate – solange ist sie schon in Deutschland – nur Sprache lernen, das sei ein bisschen langweilig, meint sie.

Für die jungen Geflüchteten und ihre Buddies sowie für die Organisatorinnen des Programms war das vergangene halbe Jahr eine äußerst spannende und aufregende Zeit. Viele neue Begegnungen sind zustande gekommen. Alle Beteiligten haben neue Menschen kennen gelernt, Freunde gewonnen und wurden mit Ideen, Denkweisen und Wissensstrukturen konfrontiert, die sie vorher so nicht kannten oder erwartet hätten. Und nicht zuletzt haben sie auch einfach gemeinsam Zeit miteinander verbracht, sei es bei einer Exkursion nach Nürnberg oder dem Refugee Blues Musikprojekt, bei dem alle ihre individuellen Lieder „von Zuhause“ mitbringen und gemeinsam mit den anderen musizieren (auf Arabisch, Deutsch und Englisch).

So schwierig der Weg ins Hochschulstudium für die jungen Geflüchteten auch ist, so macht Mohammed Hazem Aref (25) doch deutlich: „Aufgeben kommt nicht in Frage. Es gibt so viele Möglichkeiten und Frau Rubas und ihre Mitarbeiterinnen versuchen immer, die beste Lösung für uns zu finden.“ Das Fazit für das Refugee Programm könnte also lauten: Der Weg mag steinig sein und das Ziel teilweise ungewiss. Aber die Teilnehmerinnen, Teilnehmer, Organisatorinnen und Buddies gehen ihn gemeinsam und darauf kommt es an.

Susanne Zahn