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21.02.2018

Alte Genome beleuchten Vorgeschichte Südosteuropas

Eine der bisher größten Archäogenetik-Studien gibt Einblick in die Interaktion zwischen einheimischen Jäger-Sammlern und frühen Bauern in der Vorgeschichte des Balkans

Fundorte der Individuen über die in dieser Studie erstmals berichtet wird. Credit: From Mathieson et al. The genomic history of southeastern Europe. Nature, DOI: 10.1038/nature25778.

Pressemitteilung der Max-Planck-Institute für Menschheitsgeschichte

 

Eine in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie alter Genome beleuchtet erstmals detailliert die genetische Geschichte Südosteuropas vor und nach Einführung der Landwirtschaft durch anatolische Bauern. Für die zweitgrößte jemals veröffentlichte Studie dieser Art analysierte ein internationales Forschungsteam, mit maßgeblicher Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, das Erbgut von 225 menschlichen Skeletten. Diese Individuen lebten teils vor und teils nach dem Epochenwechsel in Südosteuropa, eine Region für die bislang kaum genetische Daten aus der Vorgeschichte zur Verfügung standen.

Die Studie wurde von insgesamt 117 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Archäologie, Anthropologie und Genetik aus 82 Einrichtungen in Europa und den USA durchgeführt, darunter auch Forschende der Universität Tübingen.

Vor etwa 8500 Jahren breitete sich die Landwirtschaft – in Verbindung mit der Einwanderung früher Bauern aus Anatolien - von Südosten her über Europa aus. Ein internationales Forschungsteam hat nun die Genome von 225 alten Knochen analysiert, die von Menschen stammen, die vor rund 14.000 bis 3.000 Jahren in Südosteuropa lebten. „Südosteuropa ist der Brückenkopf der Anatolien mit Europa verbindet. Von dort breitete sich die Landwirtschaft nach Europa aus. In dieser Studie werden die Interaktionen von frühen Bauern, indigenen Jägern und Sammlern aus dem Balkanraum und den Bewohnern der Zentralasiatischen Steppen erstmals umfassend betrachtet“, sagt Archäologe Raiko Krauß vom Institut für Früh- und Urgeschichte der Universität Tübingen. Er hatte einige Skelette des berühmten kupferzeitlichen Gräberfelds von Varna, Bulgarien, für die Studie zur Verfügung gestellt.

Zwischen Isolation und intensivem Austausch

„An manchen Orten scheinen sich Jäger-Sammler und einwandernde Bauern sehr schnell vermischt zu haben“, sagt Erstautor Iain Mathieson, Genetiker an der Universität von Pennsylvania, „aber meistens blieben die beiden Gruppen isoliert, zumindest in den ersten paar hundert Jahren . Die Jäger und Sammler haben seit Tausenden von Jahren in der Region gelebt, und es muss ein ziemlicher Schock für sie gewesen sein, als die neuen Menschen auftauchten – mit einem völlig anderen Lebensstil und Aussehen.“

„Dreitausend Jahre später hatten sie sich vollständig durchmischt“, fährt David Reich von der Harvard Medical School fort, einer der Leiter der Studie. „Einige Bevölkerungsgruppen haben bis zu einem Viertel ihrer Gene von Jäger-Sammlern geerbt.“ In manchen Regionen Europas trugen vor allem die Männer das Erbgut der Jäger- und Sammler weiter; nicht jedoch im Südosten. „Das zeigt, dass beide Gruppen an verschiedenen Orten unterschiedlich interagierten, etwas, was wir im Zusammenhang mit archäologischen Erkenntnissen zu verstehen versuchen", fügt Mathieson hinzu.

Die Studie umfasst auch eine Stichprobe von 40 Jäger-Sammlern und frühen Bauern aus der Region des „Eisernen Tors“ an der Grenze zwischen dem heutigen Rumänien und dem heutigen Serbien. Die Untersuchungen zeigen, dass diese Region einen intensiven Austausch zwischen Jäger-Sammlern und frühen Bauern erlebte. Zum Beispiel stammten zwei von vier Individuen aus der Grabungsstätte Lepenski Vir genetisch vollständig von anatolischen Bauern ab, passend dazu bestätigte eine Isotopenanalyse, dass sie Migranten von außerhalb der Region waren. Ein drittes Individuum war gemischter Abstammung und hatte laut Isotopen viel Fisch gegessen, was zu erwarten ist, wenn Bauern in eine Jäger-Sammler Gruppe integriert werden oder deren Lebensweise annehmen.

„Diese Ergebnisse beleuchten den Zusammenhang zwischen Migration, Vermischung und Subsistenz in dieser Schlüsselregion. Sie zeigen zudem, dass sich bereits die frühen europäischen Bauern in ihrer Abstammung unterschieden, was ein dynamisches Mosaik von Vermischungen zwischen Jäger-Sammlern und frühen Bauern widerspiegelt", erklärt Ko-Studienleiter Ron Pinhasi, Anthropologe an der Universität Wien.

Varna – Frühester Nachweis für Gene aus der Steppe 2000 Jahre vor der großen Einwanderungswelle

Für die Studie wurden auch Skelette aus Varna, eine der bedeutendsten archäologischen Stätten der europäischen Vorschichte untersucht. Varna ist einer der ersten Orte der Welt, für den es Hinweise auf extreme Unterschiede im Reichtum gibt. Das Grab eines der untersuchten Individuen enthielt mehr Gold als alle anderen bekannten Bestattungen aus dieser Zeit. „Die DNA aus der berühmten Grabstätte von Varna ist der anderer früher europäischen Bauern sehr ähnlich“, sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, der die Analyse der Proben von Varna leitete. Krause fährt fort: „Überraschenderweise fanden wir jedoch auch ein Individuum aus Varna und mehrere aus benachbarten Fundorten in Bulgarien, die Vorfahren aus der osteuropäischen Steppe hatten. Dies ist der früheste Nachweis der sogenannten Steppen-Abstammung so weit im Westen – zweitausend Jahre vor der großen Einwanderungsbewegung aus der Steppe, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung Nordeuropas zwischen 5000 und 4500 vor heute ersetzte.“

David Reich bemerkt abschließend: „Diese sehr großen Studien alter DNA, die auf einer intensive Zusammenarbeit von Genetikern, Archäologen und Anthropologen basieren, erlauben es, ein detailliertes Bild von Schlüsselperioden der Vergangenheit zu zeichnen, welche vorher nur schwach zu erahnen waren. Studien dieser Größenordnung zeigen, dass die Forschung an alter DNA den Kinderschuhen entwachsen ist. Ich freue mich auf die Erkenntnisse, die wir gewinnen werden, wenn ähnliche Forschungsansätze auch auf andere Regionen der Welt angewandt werden.“

Publikation:

Mathieson et al., The genomic history of southeastern Europe, Nature, DOI: 10.1038/nature25778

Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte

Kontakt:

Johannes Krause
Abteilung für Archäogenetik
Max-Planck-Institute für Menschheitsgeschichte
Email: krausespam prevention@shh.mpg.de

PD Dr. Raiko Krauß
Universität Tübingen
Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters
Telefon +49 7071 29-76794
raiko.kraussspam prevention@uni-tuebingen.de

Eberhard Karls Universität Tübingen
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Dr. Karl Guido Rijkhoek
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Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
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