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30.03.2016

Neue Wege in der zellulären Signalverarbeitung entdeckt

Tübinger Forscher erkennen Sender- und Empfängereigenschaften eines altbekannten Membranproteins

Schematische Darstellung des Hybridproteins aus dem Experiment: An der Zelloberfläche (oben) kann der Cholera-Auto-Inducer-1 (CAI-1) andocken; die Signale werden in das Zellinnere (unten) weitergeleitet, wo zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP) freigesetzt wird.

Zellen sind von einer Membran umgeben, mit der sie sich nach außen von anderen Zellen und der Umwelt abgrenzen. Um Informationen über diese Zellmembran zu transportieren, besitzen sie Kommunikationssysteme, die in der Membran verankert sind und Außen und Innen mit einer Art Sprechverbindung verknüpfen. Dabei nehmen Rezeptorproteine auf der Außenfläche der Zelle Informationen aus der Umgebung auf und stoßen damit im Inneren die Produktion eines Signalstoffs an. Viele Rezeptoren aktivieren dabei in einer Kettenreaktion indirekt Enzyme, hier Adenylat-Zyklasen, die dann in der Zelle ein chemisches Signal, einen intrazellulären Botenstoff, produzieren. Das vor Jahrzehnten entdeckte Protein Adenylat-Zyklase überspannt die Membran mit zweimal je sechs Proteinröhren, die schon immer als zu groß und sperrig angesehen wurden, um ausschließlich als Verankerung zu dienen. Seither rätselten Wissenschaftler, wozu dieser riesige Membrankomplex sonst noch gut sein könnte. Die Mitglieder des Sonderforschungsbereichs 766 „Die bakterielle Zellhülle“ Professor Joachim Schultz und Stephanie Beltz vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen sind gemeinsam mit Jens Bassler vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie der Lösung näher gekommen: Sie gehen davon aus, dass die Adenylat-Zyklasen selbst auch Rezeptoren sind. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift eLife veröffentlicht.


Adenylat-Zyklasen kommen sowohl bei Bakterien als auch bei den Zellen mit echtem Kern, das heißt in Säugetier und Mensch, vor. Angesichts ihres großen Membrankomplexes wurde bereits 1989 eine Funktion als Kanal oder Transporter für den Import und Export von Substanzen oder Salzen vermutet. „Doch es war weder noch“, sagt Schultz, der seit nunmehr 26 Jahren an dieser Frage arbeitet. Die Hartnäckigkeit zahlte sich aus. Der Durchbruch bahnte sich durch das Bakterium Vibrio an. Bei dem Erreger der Cholera wurde ein Rezeptor entdeckt, der die Populationsdichte der Einzeller über die Konzentration einer selbst produzierten Signalsubstanz, dem Cholera-Auto-Inducer-1 (CAI-1), in der Umgebung misst. „Die Struktur dieses Rezeptors ähnelt dem Membrananker der Adenylat-Zyklasen“, erklärt Schultz. Im Experiment tauschten die Wissenschaftler den Membrananker der Adenylat-Zyklase gegen den Rezeptor des Bakteriums aus. „Das Hybridprotein leitete die Signale vom Membranrezeptor in das Zellinnere weiter und produzierte zyklisches AMP.“


Damit hat das Wissenschaftlerteam gezeigt, dass die Membrananker der Adenylat-Zyklasen unmittelbar als Rezeptoren dienen können, an die ein Signalstoff von außen direkt andocken kann. Die Forscher vermuten, dass diese völlig neue Regulationsebene neben den indirekt vermittelten, aber schnellen Signalen des Nervensystems für langsame und längerfristige Änderungen von Körpersignalen genutzt wird, wenn sich etwa bei einem Fieber die Körpertemperatur ändert oder die hormonelle Regulierung des Tages- und Nachtrhythmus. Eine genaue Analyse des Membranankers der Adenylat-Zyklasen mithilfe bioinformatischer Methoden ergab auffällige Ähnlichkeiten zu weiteren bakteriellen Rezeptorproteinen. „Die vorhandenen Variationen zwischen verschiedenen Typen von Adenylat-Zyklasen deuten darauf hin, dass Anpassungen an ganz unterschiedliche Umgebungsbedingungen möglich sind“, sagt der Wissenschaftler. Er und seine Kollegen gehen davon aus, dass die Adenylat-Zyklasen einen neuen, bisher unerkannten Rezeptortyp auf der Zelloberfläche repräsentieren. Damit werden in einem ganz zentralen Regulationssystem bei Mensch und Tier sowohl schnelle als auch langsam sich verändernde Signale gemeinschaftlich verarbeitet.


Joachim Schultz erklärt, wie es mit der Forschung nun weitergehen wird: „Eine sehr spannende Frage ist, welche Signale den Rezeptor der Adenylat-Zyklasen aktivieren. Das wissen wir bisher weder bei Bakterien noch bei Säugetieren. Dann werden sich daraus völlig neue Angriffspunkte für die Entwicklung künftiger Arzneistoffe ergeben.“

Pressemitteilung der Universität Tübingen und des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie


Publikation:

Stephanie Beltz, Jens Bassler, and Joachim Schultz: Regulation by the quorum sensor from Vibrio indicates a receptor function for the membrane anchors of adenylate cyclases. eLife (2016), <link http: dx.doi.org elife.13098>

dx.doi.org/10.7554/eLife.13098


Kontakt:

Prof. Dr. Joachim Schultz
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Pharmazeutisches Institut
Sonderforschungsbereich 766 „Die bakterielle Zellhülle: Struktur, Funktion und Schnittstelle bei der Infektion“
Telefon +49 7071 29-72475
<link mail window for sending>joachim.schultz[at]uni-tuebingen.de

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardt[at]uni-tuebingen.de

www.uni-tuebingen.de/aktuelles

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