Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2016: Forschung

Ausländerkriminalität wird überschätzt – auch von angehenden Akademikern

Umfrage von Studierenden der Kriminologie der Universität Tübingen mit mehr als 2.000 Teilnehmern

Die Anzahl der Straftaten, die von nichtdeutschen Tätern verübt werden, wird in der öffentlichen Meinung höher eingeschätzt als sie tatsächlich ist. Auch angehende Akademiker sind davor nicht gefeit, können die Fakten aber tendenziell besser einordnen – dies zeigen die Ergebnisse einer Umfrage von Studierenden der Kriminologie an der Universität Tübingen unter mehr als 2.000 Teilnehmern. Durchgeführt wurde die Befragung von zwei Tübinger Studierenden – Jenny Geiger und Tizian Seidle – im Rahmen eines Seminars zum Thema „Migration und Kriminalität“ von Dipl.-Psych. Barbara Hausmann und Professor Jörg Kinzig. 83,3 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage hatte mindestens eine Fachhochschulreife oder einen höheren Abschluss vorzuweisen; rund 41,9 Prozent gab an, zu studieren. In der Befragung sollten sie unter anderem die Entwicklung der Ausländerkriminalität in den letzten fünf Jahren einschätzen.


Bei der Umfrage gingen 263 der Befragten mit hohem Bildungsniveau (15,3 Prozent) von einem starken Anstieg der Ausländerkriminalität in den letzten fünf Jahren aus. In Wahrheit verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zwischen 2010 und 2015 lediglich einen moderaten Zuwachs der ausländischen Tatverdächtigen – von 20,0 Prozent im Jahr 2010 auf 27,6 Prozent im Jahr 2015, stellt man zudem den Zustrom von Flüchtlingen in Rechnung. „Besonders bemerkenswert ist dabei, dass demgegenüber von den Befragten mit niedrigem Bildungsniveau immerhin 52,6 Prozent an einen starken Zuwachs glaubte“, stellt Professor Jörg Kinzig von der Universität Tübingen fest. Insgesamt vermuteten 53,1 Prozent der Personen mit höherem Bildungsniveau einen – wenn auch nicht unbedingt starken – Anstieg, während es unter den weniger gebildeten Teilnehmern sogar 87,8 Prozent waren.


„Die Ergebnisse deuten an, dass es nicht allein die schulische Ausbildung ist, die über eine realistische Einschätzung sogenannter Ausländerkriminalität entscheidet, sondern vor allem auch, welche Medien der Einzelne nutzt“, betont Tizian Seidle. In der Umfrage mussten die Teilnehmenden angeben, welcher Informationsquellen sie sich regelmäßig bedienen – von der seriösen Presse bis hin zu Boulevardzeitungen. Anhand dessen wurden ihnen ein sogenannter „Informiertheitswert“ zugewiesen. Hierbei zeigte sich, dass fast drei Viertel (72,7%) der Befragten mit niedrigem Informiertheitsswert von einem Anstieg der von nichtdeutschen Tätern verübten Straftaten ausging, während dies nur etwas über die Hälfte (54,9%) der Personen mit hohem Informiertheitswert glaubte. Überwiegend wurde von den Personen mit niedriger Informiertheit sogar ein starker Anstieg vermutet.


„Neben Bildungsaspekten spielen auch persönliche Erfahrungen eine Rolle“, sagt Jenny Geiger. Die Umfrage stellte einen Zusammenhang zu eigenen Opfererfahrungen her. Hier zeigte sich, dass Personen, die angaben, bereits Opfer eines nichtdeutschen Täters geworden zu sein, die Entwicklung der Ausländerkriminalität als vergleichsweise dramatisch einschätzten. So gingen 72,2 Prozent von ihnen von einem Anstieg aus, wogegen dies bei Personen ohne eine solche Opfererfahrung nur bei 51,0 Prozent der Fall war.


Auch den Anteil nichtdeutscher Personen an der Wohnbevölkerung in Deutschland bezifferten viele der Teilnehmenden mit durchschnittlich ca. 24 Prozent zu hoch. Laut Statistischem Bundesamt lag der Ausländeranteil zum Befragungszeitpunkt bei nur rund zehn Prozent (9,7%). Nur rund einem Fünftel der Befragten (20,4%) gelang es, ihn realistisch zu verorten.

Mareike Manzke