Uni-Tübingen

Chronik

05.05.2018

Internationaler Workshop „Verstehen verstehen“ am GRK 1808

Was ist „Verstehen“ überhaupt und warum ist es relevant für uns? Ist es möglich, etwas zu verstehen, ohne Konzepte wie „Wahrheit“, „Glaube“, „Begründung“, etc. zugrunde zu legen? Am 04.05.2018 fand an der Universität Tübingen unser Workshop „Verstehen verstehen“ statt, in dessen Verlauf solche und weitere interessante Fragestellungen diskutiert wurden.

Der Workshop diente unter anderem dazu, im Rahmen der Exzellenclusterinitiative, die wir in Kooperation mit der Universität Stuttgart verfolgen, einen Beitrag zum Thema Verstehen zu leisten, der vor allem die Arbeit von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern berücksichtigt. Die interdisziplinäre Ausrichtung ermöglichte dabei eine große Bandbreite an Themenfeldern, die von grundlegenden philosophischen, über literatur- und kunsttheoretische bis hin zu linguistischen Fragestellungen rund um das Thema Verstehen reichte.

Unser Keynote Speaker, Michael Hannon von der London University, ging dabei der grundlegenden Frage nach, was Verstehen überhaupt sei. Er argumentierte dabei für die These, dass Verstehen stets von kompetenten Erklärern abhängig sei und dass das Erklären dem Verstehen somit voranginge. Michael Stuart befasste sich mit einer ähnlichen Fragestellung und plädierte dafür, dass Verstehen stets unabhängig von Begriffen wie „Wahrheit“, „Glaube“ und „Begründung“ sei und so von Wissen abgegrenzt werden müsse. Die formale Logik wurde von Luis Rosa vertreten, der postulierte, dass analytische Wahrheiten nicht existieren und logische Operatoren das Verständnis natürlicher Sprachen nicht adäquat erfassen können.

Darüber hinaus war es sehr eindrucksvoll zu sehen, wie Verstehen mit verschiedensten medialen Repräsentationen verknüpft werden kann. So zeigte Xiaocui Qiu von der Universität Stuttgart, wie durch die Gegenüberstellung von Bild und Text im Werke Hans Magnus Enzensbergers Ironie entsteht und wie diese vom Leser rezipiert wird. Bilder spielten auch eine wichtige Rolle im Vortrag von Klaus Speidel von der Universität Wien: Er analysierte anhand von empirischen Studien, wie Betrachter Bilder rezipieren und kam zu dem Ergebnis, dass Bilder keineswegs ein statisches Konstrukt sind, sondern tatsächlich als ein Narrativ interpretiert werden können.

Selbstverständlich wurde auch über das Thema der Ambiguität gesprochen. Dabei war es besonders interessant zu sehen, wie empirische Analysen mit literaturwissenschaftlichen Fragestellungen verknüpft werden können. So stellte Nicole Poppe eine empirische Studie darüber vor, wie lexikalische Ambiguitäten in Charles Dickens‘ Roman David Copperfield vom Rezipienten aufgelöst werden. Miriam Lahrsow zeigte, wie englische Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts mittels Annotationen (dis)ambiguieren. Ihre Beispiele bezogen sich auf Alexander Pope, der seine Gedichte mit disambiguierenden Annotationen anreicherte, weil seine Zeitgenossen sie unverständlich fanden, sowie auf Lord Byron, der seine eigentlich verständlichen Gedichte mittels Annotationen ambiger gestaltete. Einen sprachwissenschaftlichen Beitrag leistete schließlich Sarah Metzger, die dafür argumentierte, dass die Berücksichtigung figurativer Sprache einen wichtigen Anhaltspunkt hinsichtlich der Disambiguierung sogenannter stativ-/eventiv-ambiger Verben liefern könne.

Wir danken allen Sprecherinnen und Sprechern, allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie natürlich allen weiteren Mitwirkenden sehr herzlich und hoffen auf weitere interessante und produktive Diskussionen zum Thema Verstehen.

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