Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2011: Forschung

Ist die Augenkrankheit Retinitis pigmentosa zu stoppen?

Grundlagenforschung an der Tübinger Augenklinik

Am Tübinger Forschungsinstitut für Augenheilkunde wird versucht, Heilmittel gegen die Augenkrankheit Retinitis Pigmentosa (RP) zu finden. Weltweit leiden etwa drei Millionen Menschen an RP. Damit ist sie eine der häufigsten Ursachen von Erblindung im mittleren Erwachsenenalter. Retinitis Pigmentosa ist ein Sammelbegriff für eine Gruppe von erblichen Augenkrankheiten, bei denen ein Teil der Lichtrezeptoren im Auge, die so genannten Stäbchen absterben. Diese befinden sich überwiegend im äußeren Bereich der Netzhaut und vermitteln das farblose und eher unscharfe Sehen in Dunkelheit. Für das scharfe und farbige Sehen bei hellem Licht sind die zentral angeordneten Zapfen wichtig. Wenn die Stäbchen absterben ist das Auge nachtblind, diese ist oft das erstes Symptom der RP. Meistens bereits in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter.


Der Stäbchenzelltod wird durch Gendefekte verursacht. Über 45 Gene, in denen eine Mutation RP auslösen kann, wurden bereits entdeckt. Nachdem die Stäbchen verschwunden sind, sterben auch die Zapfen ab, so dass man langsam völlig erblindet. Es wäre von großem Vorteil, könnte die Erblindung verhindert oder augehalten werden. Meist bleibt nur ein zentraler Teil der Netzhaut, in dem die Zapfen dominieren, länger funktional. Das resultierende Gesichtsfeld ist stark eingeengt, es kommt zum so genannten Tunnelblick. Die Zapfen der RP-Patienten haben keinen Gendefekt, warum sie dennoch sterben, ist ungeklärt. Der Zelltodmechanismus scheint bei beiden Photorezeptoren ähnlich zu sein, obwohl die Ursachen verschieden sind. In der Arbeitsgruppe von Dr. François Paquet-Durand wird daher der Mechanismus des Photorezeptorzelltodes genauer untersucht. „Aufbauend auf diesem Wissen, könnte man gezielt in den Zelltodmechanismus eingreifen, um diesen zu stoppen oder zu verlangsamen.“, antwortet Dr. François Paquet-Durand auf die Frage, warum seine Arbeit wichtig für die Heilmittelforschung ist.


Hierzu wird mit Tiermodellen gearbeitet, in der Regel mit Mäusen und Ratten, deren Photorezeptoren ähnliche Gendefekte aufweisen wie RP-Patienten sie haben. Viele Erkenntnisse wurden auf diese Seite zum Stäbchen- und Zapfenzelltod gewonnen. So konnten bestimmte Proteine und Botenstoffe identifiziert werden, die in den Mechanismus des Photorezeptor Zelltodes involviert sind.


Dieses Wissen kann dazu verwendet werden den Zelltod zu verhindern oder zu verlangsamen. Hierzu ist es sinnvoll, verschiedenste Substanzen auf ihre mögliche Heilwirkung zu testen.


Im Labor von Dr. François Paquet-Durand werden für diese Experimente auch Zellkulturen verwendet. So ist es möglich viele Substanzen zu testen, ohne Tierversuche durchführen zu müssen. Die photorezeptor-ähnlichen Zellen der Tübinger Arbeitsgruppe wachsen in einem Wärmeschrank bei 37 Grad Celsius in kleinen Plastikflaschen, bedeckt mit Nährlösung. Nur wenige Mikrometer groß, können die Zellen für die Versuche auf kleine Plastikplatten, mit je 96 kleinen Näpfchen, verteilt werden. Der Vorteil: knapp hundert unterschiedliche Versuche kann man auf einer Platte durchführen. Die das Projekt ausführende Doktorandin erklärt in einem Satz den Versuchsaufbau: „Erst versuchen wir die Zellen gezielt zu töten, um sie dann vor dem Tod zu bewahren.“ Bei diesen Experimenten wird das gewonnene Wissen um den Stäbchenzelltod angewendet und ein bestimmtes Enzym inaktiviert. So erreicht man, dass in den Versuchszellen ein ähnlicher Zelltodmechanismus abläuft, wie in der genetisch bedingten Situation der Patienten. Analysiert wird dieser mit einer fluoreszierenden Lebend/Tod Färbung.


Die abgestorbenen Zellen leuchten im Fluoreszenzlicht rot, die lebenden Zellen grün. Die Zellen werden unter dem Mikroskop gezählt und das Verhältnis von toten zu lebenden Zellen gebildet. Sind es mehr tote Zellen, verschiebt sich der Verhältniswert. Nun können die Resultate aus jedem Versuch verglichen und statistisch auf ihre Unterschiede analysiert werden. Im nächsten Schritt, wird der Nährlösung zusätzlich noch eine zelltodhemmende Substanz beigemischt und analysiert, ob die Zelldegeneration sich dadurch verändert. Auch andere Proteine und Botenstoffe werden in den Zellen gezielt inaktiviert und danach die Veränderung genau untersucht. Kandidaten für protektive Stoffe gibt es bereits, so genannte Antioxidantien wurden als erstes getestet. Diese Stoffe verbessern den aus dem Gleichgewicht gebrachten Zellstoffwechsel. Die Auswertung dieser Versuche wird zeigen, ob tatsächlich ein Anwärter für ein Heilmittel gegen RP gefunden wurde, oder ob weitergesucht werden muss.

Stine Mencl

Ärzte der Universität Tübingen unter Leitung von Professor Dr. Eberhardt Zrenner entwickeln gerade einen Mikrochip, der RP-Patienten wieder zum Sehen verhelfen soll. Sie operierten in einem Pilotversuch den drei mal drei Millimeter kleinen Mikrochip mit 1.500 Photozellen unter die Netzhaut von elf RP-Patienten. Der Versuch verlief erfolgreich, da aber das Retina Implantat noch in der Testphase ist, musste es nach ein paar Wochen wieder entfernt werden.