Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2012: Forschung

Abschied nach 25 Jahren Tübinger Forschung in Troia

Ein Vierteljahrhundert haben Tübinger Archäologen auf der berühmten Ausgrabungsstätte gearbeitet

Kaum eine Grabungsstätte hat die Gemüter so bewegt, wie die Ruinen von Hisarlik (deutsch: Burghügel) im Nordwesten der Türkei: Als der deutsche Archäologe Heinrich Schliemann 1873 auf sie stieß, war er überzeugt, nichts weniger als das sagenhafte Troia gefunden zu haben, das Homer in seiner Ilias beschreibt. Er löste damit lebhafte wissenschaftliche Debatten aus – und ein langjähriges Engagement deutscher Archäologen bei der Bergung und Restaurierung der Funde. Ein Vierteljahrhundert hat die Universität Tübingen die Ausgrabungen geleitet: Nach 25 Jahren hat das Team um Professor Dr. Ernst Pernicka vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters nun die wissenschaftliche Leitung abgegeben.

Die Tübinger Forschung, 1988 unter der Leitung von Manfred Korfmann begonnen, hatte von Anfang an zwei Schwerpunkte verfolgt: zum einen sollte die Frage nach einer Unterstadt geklärt werden. Schliemann und seine Nachfolger hatten sich bei ihren Grabungen auf den Burghügel konzentriert. Wie aber stand es um eine bronzezeitliche Besiedlung außerhalb der Burg? Diese Frage konnte in den vergangenen Jahren eindeutig beantwortet werden: es gab eine Unterstadt, derzeit wird sie auf über 30 Hektar Größe geschätzt. Ein Großteil davon liegt unter griechischen und römischen Schichten, weshalb die tatsächliche Dichte dieser Besiedlung immer noch nicht abschließend geklärt werden kann.

Ergänzende Untersuchungen mittels moderner Methoden halfen zudem, die früher erstellte Chronologie der Schichten zu präzisieren. Dies ist besonders wichtig, da Troia bei der Datierung anderer Stätten der Ostägäis als Vergleichschronologie herangezogen wird.

Und dann bleibt natürlich die Frage nach dem Troia Homers: hatte Schliemann in dem Hügel von Hisarlik wirklich das bei Homer besungene Troia gefunden? Absolute Beweise gibt es immer noch nicht. Dennoch ist Pernicka sicher, dass der erforschte Ort Troia mit dem aus der antiken Dichtung übereinstimmt. Hierfür sprechen seiner Meinung nach Struktur und Größe der Stadt, aber auch die Topographie und das bronzezeitliche Siedlungssystem der Umgebung. Zudem wurden Hinweise gefunden, dass es schon in der Antike eine Art Tourismus nach Troia gab, zusammen mit der Verehrung der homerischen Helden.

Dass sich die Tübinger Archäologen aus Troia zurückziehen würden, stand bereits im Frühjahr 2012 fest. Die Archäologen hatten 2012 erstmals von der türkischen Antikenverwaltung nur eine sehr eingeschränkte Lizenz für Forschung in Troia erhalten, verbunden mit einer Reihe von Auflagen wie Restaurierungs- und Reparaturarbeiten an der Infrastruktur. So war ihnen und ihren Kollegen aus den USA echte Feldforschung verwehrt. Dennoch langweilte sich das Team nicht: Die Ruinen wurden von pflanzlichem Bewuchs befreit, Besucherwege und Schautafeln erneuert und der fast vier Kilometer lange Zaun um das Gelände ausgebessert. Das Fund-Depot wurde vergrößert und Keramikfunde aus älteren Grabungen gesichtet. An die 300 Kapitelle und Architekturblöcke der Agora, welche verstreut im Gelände gelegen hatten, wurden an einem neuen Ort zusammengeführt.

Als einen Grund für das Einstellen der Arbeiten vor Ort nennt Pernicka zudem die erschöpften Mittel der Tübinger Troia Stiftung. Große Grabungsprojekte seien damit nicht mehr zu finanzieren. Die noch verfügbaren Mittel fließen nun in die Aufarbeitung und Publikation der Befunde und Funde, eine äußerst wichtige Arbeit, die das Team noch für einige Jahre beschäftigen wird. Wie es in Troia weitergehen wird, steht weitgehend fest. Ein türkischer Kollege an der Universität Canakkale, Absolvent der Universität Tübingen, wird die Leitung übernehmen und hat bereits die bisherigen Partner zur weiteren Mitarbeit eingeladen.

Diana Nickel-Tzschach