Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2016: Forschung

Gebremst und abgelenkt: Die Windparks und der Wind auf dem Meer

Im Forschungsprojekt WIPAFF (Windpark Fernfeld) untersucht ein Wissenschaftlerteam unter Tübinger Beteiligung, wie sich Offshore-Anlagen gegenseitig beeinflussen

Offshore-Windparks lassen den Wind nicht unberührt. Sie stellen auf der relativ glatten Meeresoberfläche Hindernisse dar, und die Windräder entziehen dem Wind Energie. Dadurch wird der Wind gebremst und die Luftunruhe, auch Turbulenz genannt, nimmt zu. Je nach Wetterlage, abhängig unter anderem von der Windrichtung, der Lufttemperatur und dem Wellengang, erholt sich die atmosphärische Strömung erst nach zehn bis hundert Kilometern hinter einem Windpark wieder. Zudem können die Luftmassen um große Windparks herum zur Seite oder nach oben abgelenkt werden. Dabei könnte es auch zur vermehrten Bildung von Wolken kommen. „Wir wissen bisher nicht, ob dies spürbaren Einfluss auf andere Windparks in der Region oder auch auf das lokale Klima hat“, sagt Professor Dr. Jens Bange vom Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen.


Er ist mit seiner Arbeitsgruppe Umweltphysik Teil eines Teams mit Forschern von fünf Instituten und Firmen in Deutschland, die im Projekt WIPAFF (Windpark-Fernfeld) in den kommenden drei Jahren dazu Daten erheben und eine erste Einschätzung geben wollen. Koordiniert wird das Projekt von Professor Dr. Stefan Emeis vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Garmisch-Partenkirchen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.

Die Offshore-Windenergieanlagen wurden in den letzten Jahren in der Deutschen Bucht großflächig ausgebaut. Allein 2015 sind 500 Offshore-Windenergieanlagen in Deutschland ans Netz gegangen. „Nun können wir die großräumigen Effekte von Windparks in der Realität untersuchen“, sagt Bange. Das Forscherteam plant detaillierte Messungen des Windfeldes, der Wetterbedingungen und der Wellen auf der Meeresoberfläche vor und hinter Windparks mit verschiedenen Geräten auf Plattformen in der Nordsee, mit einem Forschungsflugzeug und durch die Auswertung von Satellitendaten. Daraus soll das Windfeld zehn bis hundert Kilometer hinter großen Windparks numerisch modelliert werden.


Die Arbeitsgruppe Umweltphysik ist verantwortlich für die direkten Messungen in der maritimen Grenzschicht. „Das ist der unterste Teil der Atmosphäre, der direkt auf der Nordsee aufliegt bis zu einer Höhe von rund tausend Metern“, erklärt Bange. Die Flugmessungen sollen mit dem Forschungsflugzeug Do-128 der TU Braunschweig durchgeführt werden. Die Tübinger Arbeitsgruppe Umweltphysik verantwortet die Messflugplanung und analysiert die atmosphärische Turbulenz vor und hinter einem Windpark. Von den Betreibern der Windenergieanlagen seien nicht alle Daten verfügbar, sagt der Forscher. Daher will er möglichst viele Messdaten sammeln, um die Vorhersagemodelle zu verbessern, die darstellen, wie sich hinter einem Offshore-Windpark die Strömung verändert. Er glaubt nicht, dass die Offshore-Windparks spürbaren Einfluss auf das lokale Klima auf dem Festland haben. Anders sehe es möglicherweise bei der Beeinflussung der Windparks untereinander aus: „Die Windgeschwindigkeit geht in dritter Potenz in die Leistung der Windenergieanlagen ein“, sagt Bange. „Da machen wenige Kilometer pro Stunde mehr oder weniger viel aus.“ Auch der Turbulenzgrad sei entscheidend. „Durch die Windturbinen bilden sich hinter dem Windpark Wirbelschleppen aus, die sich vereinigen können und teilweise lange bestehen. Sie erhöhen den Grad der Turbulenz, was zu geringerer Leistung der nachfolgenden Anlagen und einer schnelleren Ermüdung des Materials führen könnte.“


Die Arbeitsgruppe Umweltphysik verfügt über langjährige Erfahrung in der Erforschung der verschiedenen atmosphärischen Grenzschichten und in der Verwendung von Forschungsflugzeugen. Sie entwickelt und betreibt auch die Tübinger Kleinstforschungsflugzeuge vom Typ MASC, die ebenfalls in der Windenergieforschung eingesetzt werden. Viele Erfahrungen haben Bange und seine Kollegen bereits über der Schwäbischen Alb gewonnen. „Im Vergleich zu solch abwechslungsreichen Landschaften sind die Verhältnisse über der Meeresoberfläche eigentlich viel einheitlicher“, sagt Bange verschmitzt. „Wir haben erst am schwierigen Objekt geübt.“


Janna Eberhardt

Das Projekt WIPAFF (Windpark-Fernfeld) wird koordiniert von Prof. Dr. Stefan Emeis vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-IFU) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Garmisch-Partenkirchen. Die Universität Tübingen wird durch die Arbeitsgruppe Umweltphysik (Prof. Dr. Jens Bange) im Zentrum für Angewandte Geowissenschaften (ZAG) vertreten. Weitere Projektpartner sind das Institut für Flugführung der TU Braunschweig, das Institut für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht (Zentrum für Material- und Küstenforschung GmbH) und UL International GmbH (vormals DEWI Deutsches Windenergie-Institut) in Wilhelmshaven. Die Ergebnisse des Projekts WIPAFF sollen genutzt werden, um den weiteren Ausbau der Windkraftnutzung in der Nordsee zu begleiten und weitere Voraussetzungen für einen möglichst effizienten und umweltverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie zu schaffen.