Institut für die Kulturen des Alten Orients

Die Geschichte von Emar

Der Ruinenhügel der altorientalischen Stadt Emar bzw. Imar liegt am mittleren Euphrat in Nordwestsyrien, etwa 100 km östlich von Aleppo/Halab entfernt. Aufgrund seiner geographischen Lage besaß die Stadt eine strategische Funktion in der Verbindung zwischen Mesopotamien einerseits und der Mittelmeerküste bzw. Anatolien andererseits. Bereits die ältesten schriftlichen Erwähnungen in den Palastarchiven von Ebla um 2500 v. Chr. und insbesondere in den Texten aus Mari aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. weisen auf die Bedeutung der Stadt als wichtiger Verkehrsknotenpunkt und Kontaktzone zwischen dem assyro-babylonischen und syro-anatolischen Kulturkreis.

Im Gegensatz zu seiner handelsgeographischen Bedeutung war Emar nie das Zentrum einer überregionalen Macht und lag zudem im Grenzbereich zwischen rivalisierenden Staaten. Seine Geschichte lässt sich - wie bereits erwähnt - bis in die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. oder, archäologisch gesprochen, bis in die Frühbronzezeit zurückverfolgen, als die Stadt in den Einflussbereich der Herrscher von Ebla gelangte und in deren Archiven mehrmals genannt wurde. Neue Nachrichten sind dann für das 18. Jahrhundert v. Chr. - die Mittelbronzezeit - in den Texten des Reiches von Mari vorhanden, wonach Emar sich in dem Einflussbereich des Nachbarstaates Yamhad befand. Schließlich gibt es für das 13. und frühe 12. Jahrhundert v. Chr. - die Spätbronzezeit - schriftliche Dokumentation aus Emar selbst, neben Erwähnungen in zeitgleichen Texten aus Boğazköy/Hattuša, Ras Schamra/Ugarit und Assyrien. Zu dieser Zeit war die Stadt Teil des hethitischen Großreiches und lag im Grenzbereich zum Rivalenstaat Assyrien. Emar war dem König von Karkamiš unterstellt, dem Vertreter des hethitischen Herrschers in Syrien, Mitglied der hethitischen Königsfamilie und Bindeglied zwischen der hethitischen Hauptstadt Hattuša in Zentralanatolien und den syrischen "Vasallenstaaten".

Die spätbronzezeitliche Stadtanlage wurde von einem französischen Team in den 1970er Jahren ausgegraben. Mittel- und frühbronzezeitliche Siedlungsschichten wurden hingegen in den jüngsten syrisch-deutschen Ausgrabungen angeschnitten. Im zweiten Drittel des 12. Jh. v. Chr. bricht sowohl die archäologische als auch die schriftliche Dokumentation ab. Der Ort wurde erst in byzantinischer Zeit großflächig wiederbesiedelt.

Bislang sind ca. 1170 Keilschrifttexte aus Emar bekannt. Sie gehören zu den wichtigsten altorientalischen Tontafelfunden Syriens, neben Ugarit, Mari und Ebla. Etwa 800 Texte stammen aus den französischen Grabungen und der Rest aus dem Antikenmarkt. Die überwiegende Mehrzahl ist in akkadischer Sprache geschrieben. Ferner gibt es ca. 100 hurritische Texte (noch unveröffentlicht) und zwei hethitische Briefe. Anders als in den erwähnten Städten Ugarit, Mari und Ebla, wo die meisten Texte aus Palastarchiven stammen, sind die Emar-Tafeln hauptsächlich in Privathäusern gefunden worden. Es handelt sich vornehmlich um Rechtsurkunden - u.a. Immobilienkaufurkunden, Heiratsurkunden, Testamente, Adoptionen -, die das private Leben der Bevölkerung belegen und gleichzeitig die Auswirkungen der hethitischen Eroberung auf Schreiberausbildung und Gesellschaft erkennen lassen. Darüber hinaus wurde im Haus einer Priesterfamilie, dem sog. Temple du Devin (M 1), eine Bibliothek gefunden, die neben literarischen und lexikalischen Werken mesopotamischer Tradition Ritualtexte enthielt, die lokale Kulte zum Inhalt haben. Besonders hervorzuheben ist das Ritual zur Einsetzung der Priesterin des Wettergottes Ba’al, das in mehreren Exemplaren überliefert ist.