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Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2024: Leute

Experte für Wirtschaftspolitik, der seinen Studierenden ungewöhnliche Einblicke in die Praxis bot

Zum Tod von Professor Dr. Karl Keinath ein Nachruf von Helmut Marcon

Der Volkswirtschaftslehre wird häufig praxisferne Elfenbeinturmgelehrsamkeit vorgeworfen. Karl Keinath pflegte dieses Vorurteil zu widerlegen, indem er den Studierenden seiner Lehrveranstaltungen anbot, mit ihm die in der Regel einmal jährlich stattfindende Hauptversammlung der Daimler-Benz AG in Stuttgart zu besuchen. Mit einigen ihm gehörenden Aktien dieses Unternehmens bekamen interessierte Studierende mit ihm für die Dauer der Versammlung Zutritt. Keinath führte auch sonst wissenschaftliche Ausflüge ungewöhnlicher Art für seine Hörer und Hörerinnen durch. Der Verfasser dieses Nachrufs übernahm in allen diesen Fällen Keinaths jeweilige Lehrveranstaltungen. 

Karl Keinath wurde am 22. November 1935 in Dettingen an der Erms im Kreis Reutlingen als Sohn des Papiermachers und Werkführers Johannes Keinath und dessen Ehefrau Sofie geb. Müller geboren. Außer ihm erblickte noch eine Schwester das Licht der Welt. Seine Schulausbildung schloss Keinath im Frühjahr 1955 an der Wirtschaftsoberschule Reutlingen ab. Er durchlief die gehobene Ausbildung an der Volksbank Metzingen, die er mit der Kaufmannsgehilfenprüfung abschloss. 1957 wurde er kaufmännischer Angestellter der Bank und nahm im Wintersemester 1957/58 an der Universität Tübingen das Studium der Volkswirtschaftslehre auf. Das Studienjahr 1959/60 verbrachte er an der Universität München. Die Diplomprüfung für Volkswirte absolvierte er im November 1962.

Im Jahr darauf war Keinath an einem Forschungsauftrag zur "Raumpolitik III" des Bundeswirtschaftsministeriums beteiligt. Danach berief ihn Professor Dr. Norbert Kloten zum Wissenschaftlichen Mitarbeiter an seinem Wirtschaftspolitischen Seminar, wo er am 15. Februar 1968 zum Dr. rer. pol.mit der Dissertation "Wachstum und Außenhandel. Eine Gleichgewichtsanalyse unter besonderer Berücksichtigung des Zwei-Länder-Falles" promoviert wurde. Im November 1963 übernahm er die Verwaltung einer Wissenschaftlichen Assistentenstelle am Lehrstuhl von Professor Dr. Erich Arndt. Seine Habilitation im Fach Volkswirtschaftslehre erfolgte am 29. Juni 1976 mit der Schrift "Regionale Aspekte der Konjunkturpolitik. Ein Beitrag zum Problem der regionalen Differenzierung der Globalsteuerung". Das Thema der Habilitationsschrift war seinerzeit hochaktuell. Norbert Kloten betrieb damals eine "Forschungsabteilung für wirtschaftspolitische Planungsverfahren" -- ein Forschungszweig, der in Frankreich unter dem Namen "planification" gepflegt wurde und der von dem seit Ende der 1960er-Jahre (Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 1967) die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland prägenden Keynesianismus Karl Schillers in mancher Beziehung abwich.

Vom 8. Juli 1976 bis zum 10. Juni 1981 war Keinath Privatdozent und ab 10. Juni 1981 Professor der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen. Seine Lehrtätigkeit umfasste Vorlesungen und Seminare zur Wirtschaftspolitik sowie Lehrveranstaltungen zur "Volkswirtschaftslehre für Studierende der Rechtswissenschaft", damals eine Pflichtveranstaltung für die Jurastudierenden an der Universität Tübingen. Ende März 2001 wurde Karl Keinath in den Ruhestand verabschiedet, am 22. November 2023, seinem Geburtstag, ist Karl Keinath in Dettingen gestorben.