Universitätsbibliothek

Das Buchbinder-Meisterstück von Johann Friedrich Pflick

Den handschriftlichen Einträgen auf einer leeren Seite vorne im Band ist es zu verdanken, dass wir überhaupt etwas über die Geschichte dieses Buchbinder-Meisterstücks erfahren. In klarer Schreibschrift ist der obere Eintrag auf Latein geschrieben und berichtet davon, dass der Philosophiestudent Gottlieb Friedrich Baur das Geschenk seines Professors Gottlieb Lukas Friedrich Tafel angenommen hat. Tafel war Professor „für alte Litteratur“ in Tübingen und lebte von 1787-1860. Der Eintrag ist vom 7. September 1827 datiert.

Vom Buchbindermeister selbst muss der Eintrag darunter stammen: „Meisterstück von Buchbinder Fried. Pflick in Tübingen. d. 28 Sept. 1827.“ Das geschwungene „F“ im Vornamen wiederholt sich verräterisch in seiner Unterschrift in den Buchbinderakten. Gebunden hat der Meister eine in Leipzig erschienene Ausgabe des Titels „Opera“ von Cicero aus demselben Jahr. Der Student Baur wurde 1805 geboren, unser Buchbinder könnte gleich alt gewesen sein. Vielleicht waren die beiden befreundet oder Nachbarn und Gottlieb Friedrich Baur hat den Meister Pflick im Nachhinein um diesen Eintrag gebeten.  

Johann Friedrich Pflick war einer von vielen Tübinger Buchbindern, die im 19. Jahrhundert Aufträge von der Universitätsbibliothek erhielten. Bereits Großvater und Vater Pflick waren Buchbinder in Tübingen, denn oftmals erlernten die Söhne das Handwerk vom Vater. Anfang des 19. Jahrhunderts war es um die Auftragslage im Buchbinderhandwerk schlecht bestellt. Die Verleger lieferten bereits gebundene Bücher aus und die einsetzende Industrialisierung brachte ansehnliche Einbände in Großbuchbindereien hervor. Manchmal verblieben Bibliotheken als einzige Auftraggeber, die zudem günstigere Preise für die Arbeit an „defekten“ Bänden verlangten. Um ein Auskommen zu haben, fertigten die Buchbinder z.B. auch Schachteln und Schuber sowie Futterale, Lampenschirme und Bilderrahmen für diverse Kunden.

Eine Koryphäe unter den Einbandforschern Deutschlands war Ernst Kyriss. Er schrieb über das Meisterstück von Johann Friedrich Pflick: „Der ganze Einband zeugt durch die sehr gute und pünktliche Ausführung sowohl aller Teile wie der Pressung und Vergoldung von bester Handarbeit. Zu seiner Verzierung sind 9 Einzelstempel, 7 Rollen und Fileten und 2 Streicheisenlinien verwendet worden. Auf beiden Deckeln erscheint der gleiche Stempelschmuck sowohl auf den Innen- wie auf den Außenseiten.“ Die Deckel des Ganzlederbandes sind „blattrippenartig“ geflammt. Die Spiegel, also die Innenseiten der Buchdeckel, sind aus „strahlenförmig geflammtem Papier“. Zum Einbandschmuck gehört außerdem ein vergoldeter Schnitt.

Die Kosten für das Meisterstück, das innerhalb von 14 Tagen fertig sein musste, hatte der angehende Meister selbst zu tragen. So ist im Handwerksrechnungsbuch am 3. September 1827 eine Einnahme von 2 fl „von Herr Pfliks Meister-Stück“ vermerkt. Im Meisterbuch der Buchbinder ist Johann Friedrich Pflick ab dem 3. November 1827 verzeichnet. Bis ins hohe Alter hat er für die Universitätsbibliothek gearbeitet und unzählige Bände in seiner Werkstatt in Händen gehalten. Eine letzte Unterschrift in den vorhandenen Akten stammt aus dem Jahr 1886. Im Meisterbuch ist Pflicks Todestag am 23. März 1890 vermerkt.

Was aus dem Studenten Gottlieb Friedrich Baur geworden ist, wissen wir leider nicht. In den Matrikeln ist er von WS 1826/27 bis SS 1828 geführt. Unter welchen Umständen sein Meisterstück in die UB gelangte bleibt wahrscheinlich (s)ein Geheimnis.

Der Sohn von Johann Friedrich Pflick, Carl Pflick, der ebenfalls Buchbindermeister in Tübingen war, übergab im Mai 1896 die Unterlagen der aufgelösten Buchbinderzunft an die Universitätsbibliothek. So haben sich glücklicherweise viele Originaldokumente zum Buchbinderwesen in Tübingen erhalten.

Literatur / Quellen

Handschriftliche Akten und Unterlagen der Buchbinderinnung Tübingen, UB-Signaturen:
Mh III 1 (Neue Buchbinderordnung der Universität Tübingen vom 5. Dezember 1737)
Mh III 4 (Verzeichnis der Tübinger Buchbindermeister 1553-1858)
Mh III 6 (Handwerks-Rechnungsbuch der Buchbinder, 1770-1836)
Mh III 7 (Gesellenbücher)
Mh III 9 (Lehrvertragsprotokolle 1836-1861)
Mh III 25 a-c (Interne Zunftakten)

Cicero, Marcus Tullius: Opera. Beteiligte Personen: Johann August Ernesti und Karl Friedrich August Nobbe [Hrsg.] Editio stereotypa. Lipsiae, 1827. UB-Signatur: Ce 100.4
(zugleich: Buchbinder-Meisterstück von Johann Friedrich Pflick).

Eine Stadt des Buches: Tübingen 1498-1998 [Ausstellungskatalog]. Mit Beträgen von Gerd Brinkhus, Wilfried Lagler, Klaus Schreiner. Tübingen: Stadtmuseum, 1998.
UB-Signatur: 38 B 387.

Kyriss, Ernst: Buchbinder-Meisterstücke früherer Jahrhunderte. Sonderdruck aus: Allgemeiner Anzeiger für Buchbindereien. Stuttgart: [Buchbinder-Verl.], 1953. UB-Signatur: L XV 300.4-2.

Matricula Universitatis. Universitätsarchiv Tübingen-Signatur UAT 5/29v, online: https://opendigi.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/UAT_005_29b

Universitätsbibliothek Tübingen: Akten betreffend Bucheinband. Universitätsarchiv Tübingen-Signatur: UAT 167/297.