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Zum 110. Geburtstag des Raumfahrtpioniers Ernst Stuhlinger (1913-2008)

Zur Biographie

Ernst Stuhlinger wurde am 19.12.1913 in Niederrimbach (heute Ortsteil von Creglingen) als Sohn des Oberlehrers Ernst Stuhlingers geboren. Nach Beendigung der Oberrealschule in Tübingen, nahm er das Studium der Physik, Mathematik und Zoologie in Tübingen, München und Königsberg auf. In einem Interview im Rahmen eines Oral History Projektes des NASA Johnson Space Center berichtete StuhIinger von dem Moment, in dem sich sein Interesse für die Raumfahrt entwickelte. Im Alter von 14/15 Jahren entdeckte er in einem Magazin ein Foto von Professor Hermann Oberth, der eine Rakete in den Händen hielt. Professor Oberth wurde in diesem Magazin mit dem Satz zitiert, dass in einigen Jahren der bemannte Flug zum Mond möglich sein würde.

Im September 1936 wurde er mit der Dissertation „Ionisierungsvermögen kosmischer Ultrastrahlen“ an der Universität Tübingen promoviert. Stuhlinger, der sich mit kosmischer Strahlung und Kernphysik befasste, arbeitete ab 1939 unter Professor Heisenberg mit am deutschen Atomenergieforschungsprogramm. Im Jahr 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, 1942 erfolgte die Versetzung an die Front in Russland. Dort erhielt er 1943 die Aufforderung, sich nach Peenemünde zu begeben, um am Raketenprogramm von Wernher von Braun mitzuarbeiten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte er wie rund 120 weitere Wissenschaftler in die USA, wo er ab 1950 mit dem Team um Wernher von Braun in Huntsville (Alabama) mit der Entwicklung der Redstone-, Jupiter- und der Pershing-Raketen begann. Als Direktor des Raumforschungszentrums des Marshall Space Flight Centers der NASA in Huntsville war er sowohl am Start der ersten amerikanischen Satelliten Explorer 1 (1958) als auch am ersten bemannten amerikanischen Raumflug durch Alan Shepard (1961) beteiligt.

Nach seiner Pensionierung wurde er Professor und leitender Forscher an der University of Alabama. Er befasste sich in dieser Zeit vor allem mit Raumsonden und deren elektrischen Antrieben, aber auch mit der Entwicklung eines elektrischen Antriebs für Automobile. Zu Ehren seines Lebenswerkes im Bereich der elektrischen Antriebe wurde nach ihm die höchste Auszeichnung der Electric Rocket Propulsion Society (ERPS) benannt: die Stuhlinger Medaille.

Unterlagen zu Ernst Stuhlinger im Universitätsarchiv

Das Universitätsarchiv Tübingen verwahrt eine Reihe von Unterlagen, die Auskunft über seine Zeit an der Universität geben. An erster Stelle zu nennen ist die Studierendenakte (UAT 364/27814). Diese beinhaltet vor allem die Belegbögen (Übersichten über besuchte Lehrveranstaltungen) und Gesuche um Erlass der Unterrichtsgelder und der Studiengebühren. Diese Gesuche geben uns kleine Einblicke in die Lebensumstände des Studenten Ernst Stuhlinger. Er berichtete, dass er noch fünf Geschwister habe, die sich teilweise noch in Ausbildung befänden. Die Mutter könne nach einer misslungenen Kropfoperation nur wenig zum Lebensunterhalt beitragen. Die Studentenakte ist angereichert mit einem Interview, das Ernst Stuhlinger 1997 und 1999 im Rahmen des Oral History Projektes des NASA Johnson Space Center gab.

Weitere Dokumente sind die Promotionsakte (UAT 201/1257), die Personalakte aus seiner Zeit als Assistent am Physikalischen Institut (UAT 155/5513) sowie die eigenhändigen Einträge in den Einschreibebüchern (UAT 5/49 und UAT 5/50).

Mit unserem Objekt des Monats wollen wir auf einen Tübinger Studenten aufmerksam machen, der sich der Wissenschaft verschrieb und den technischen Fortschritt vorantrieb. Dass die Raumfahrttechnik überwiegend durch militärischen Einsatz weiterentwickelt wurde, war den Forschern damals ebenfalls bewusst und wurde in Kauf genommen. Jörg Wagner führt in seinem Artikel „Öffnet das Tor zum Himmel“* aus: „Ihre Entwicklung [der Rakete A-4] war vor allem getragen von einer gewaltigen Technikbegeisterung und Hingabe, die aus den verheißungsvollen Möglichkeiten einer völlig neuen Technologie resultierte. Zugleich erwuchs die Hoffnung der in Peenemünde tätigen Wissenschaftler, dass der zweite Weltkrieg vorüber sei, bevor die A-4 einsatzbereit wäre.“

Ein grundlegendes ethisches Dilemma bleibt allerdings bestehen: Ist es für Wissenschaftler ethisch vertretbar an Forschungsprojekten zu arbeiten, die politisch, wirtschaftlich oder militärisch missbraucht werden können.

 

*Literaturangabe: Wagner, Jörg: Öffnet das Tor zum Himmel“. Ernst Stuhlinger – Ein Schwabe als Pionier der modernen Raumfahrt“, in: Hin und weg. Tübinger in aller Welt, Tübingen 2007, S. 139-149.

Quellen:

UAT 364/27814: Studierendenakte
UAT 201/1257: Promotionsakte
UAT 155/5513: Personalakte
UAT 5/49 und 5/50: Einschreibebücher
 

Literatur:

Michael J. Neufeld: Wernher von Braun : Visionär des Weltraums - Ingenieur des Krieges, München 2009 (UB -Signatur: 49 A 4946)

Ernst Stuhlinger/Frederick I. Ordway: Wernher Von Braun : Aufbruch in den Weltraum; die Biographie, Esslingen 1992 (UB-Signatur: 33 A 5841)

Jörg Wagner: „Öffnet das Tor zum Himmel“: Ernst Stuhlinger – ein Schwabe als Pionier der modernen Raumfahrt, in: Hin und weg (2007), Seite 139-149 (UB-Signatur: 16 E 9762:1).