Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

tünews INTERNATIONAL

Gefördert von

KulturGUT im Landkreis Tübingen e.V.

tünews INTERNATIONAL entstand als Projekt des Public Engineering zum Integrationsdiskurs.  Es handelt sich um eine kommunikative und dann unmittelbar integrative Praktik des Landkreises Tübingen im Wechselspiel mit Integrationspolitischen Diskursen, Seminaren und Tagungen des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft.

 
Projektlaufzeit seit 2015  
Leitung Dr. Wolfgang Sannwald  
Website tünews INTERNATIONAL  

tünews INTERNATIONAL produziert seit 2015 Meldungen für Menschen, die am Integrationsprozess in der Region und im deutschsprachigen Raum insgesamt teilhaben. Dazu arbeitet eine Redaktion mit 20 Geflüchteten v.a. aus Syrien, Afghanistan oder Nigeria. Fünf ehrenamtliche Journalisten-Coaches unterstützen und empowern sie. Seit März 2020 produzieren sie jeden Tag durchschnittlich 16 news in vier Sprachen: Arabisch, Persisch, Englisch, Deutsch. Die Meldungen enthalten vor allem Informationen, die Migrant*innen für ihren Alltag in Deutschland benötigen oder die sie auf die Integration in den hiesigen Arbeitsalltag vorbereiten. Ein Alleinstellungsmerkmal ist, dass MigrantInnen ihre Informationsbedarfe und Fragestellungen bei wöchentlichen Meetings direkt artikulieren. Dann recherchieren ehrenamtliche Coaches und Geflüchtete unmittelbar bei Bundesbehörden, örtlich zuständigen Stellen oder Verbänden. Redaktionsmitglieder verfassen jede Veröffentlichung selbst, oft in Teams mit Geflüchteten. Geflüchtete übersetzen dann in die Sprachen wichtiger Herkunftsländer. Die anschließenden Veröffentlichungen sind gefragt: Die Internetseiten www.tuenews.de erzielten 2020 etwa 2,6 Millionen Klicks, 2021 waren es 3,4 Millionen, 2022 etwa 5 Millionen. Zusätzlich betreibt tünews INTERNATIONAL pro Sprache social media-Kanäle, verbreiteT wöchentlich gesprochene News über ein Freies Radio. Seit November 2021 beziehen etwa 25 Städte und Landkreise über die INTEGREAT-App überregionale e-news, viele in Baden-Württemberg, aber auch Augsburg, Dortmund oder Kaiserslautern.

 

Entstehungsgeschichte

tünews INTERNATIONAL entstand als Projekt des Public Engineering zum Integrationsdiskurs.  Es handelt sich um eine kommunikative und dann unmittelbar integrative Praktik des Landkreises Tübingen im Wechselspiel mit Integrationspolitischen Diskursen, Seminaren und Tagungen des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft. tünews INTERNATIONAL begann bereits im September 2015, als viele Geflüchtete in Notunterkünften leben mussten, als Projekt.  2015/2016 reisten mehr als eine Million Flüchtlinge, Migrant*innen und andere Schutzsuchende nach Deutschland ein.  Während in Deutschland bis 2013 durchschnittlich etwa 34 000 Personen pro Jahr Asyl beantragten, stieg diese Zahl im Jahr 2014 auf 173 000. 2015 und 2016 nahm sie vor allem durch Flucht aus Syrien, dem Irak und Afghanistan nochmals erheblich zu. Die Schließung der Westbalkanroute und das EU-Türkei-Abkommen vom 18. März 2016 bewirkten, dass die Zahl anschließend rapide sank. Für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge wurden in Deutschland die Landkreise zuständig erklärt. In den Landkreis Tübingen zogen von Juni 2015 bis März 2016 etwa 2800 Migrant*innen. Der Landkreis brachte die meisten provisorisch in Notunterkünften, beispielsweise in Sporthallen, unter. Die Zahl der in den zehn Monaten in den Landkreis zugewanderten Migrant*innen entsprach der Wohnbevölkerung einer kleineren Kreisgemeinde von der Größenordnung Hirrlingens oder etwa 1,5 Prozent der Kreisbevölkerung.
Am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft haben Forschungen zu Vertriebenen und Flüchtlingen bereits seit Ende der 1950er-Jahre eine große Tradition.  Und die Migrationsfrage trug wesentlich mit zur Entwicklung einer gesellschaftspolitischen Wirkabsicht des Faches bei.  Das Institut griff die seinerzeit aktuelle Entwicklung im Sommersemester 2016 auf, unter anderem mit dem Seminar „Theorien und exemplarische Felder europäischer Kulturforschung: Migration und diversity management in der Region“. Ein Institutskolloquium am 12. Mai 2016 wurde dann zum Ausgangspunkt für den Übergang zu aktiver Mitgestaltung des Integrationsdiskurses. Aufbauend auf die Erkenntnis, dass die Akteur*innen nicht ausreichend kommunizierten, ging es um Anlässe und Formen für Kommunikation. Das Landratsamt Tübingen und das Ludwig-Uhland-Institut veranstalteten zeitnah eine Serie von „Integrationspolitischen Diskursen“ am 18. Oktober, 29. November und am 13. Dezember 2016. Bei den Diskursen tauschten sich „Einheimische“, Flüchtlinge, Zugezogene sowie Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und Medien über die Themen Integration, Heimat und Leitkultur aus. Diese Diskurse bereiteten Reinhard Johler und Wolfgang Sannwald in Seminaren am Institut vor, Studierende wirkten bei der Durchführung mit, werteten aus. Das Merkmal dieser kommunikativen Praktik waren niederschwellig und breit gestaltete Gesprächsgruppen der am Integrationsprozess Beteiligten aus Administration, bürgerschaftlichem Engagement, Geflüchteten und Wissenschaft. Inhaltlich ging es um Aspekte von Integration. Gleichzeitig waren die Diskurse selbst eine Form kommunikativer Praktik.
Die wissenschaftliche Befassung und die Integrationsdiskurse legten als ein Ziel von Integration nahe, dass Migrant*innen möglichst wirksam am Integrationsdiskurs selbst teilhaben sollten. Die Analyse ergab zudem, dass Geflüchtete einerseits Informationsbedarf in ihren Sprachen hatten und viele von ihnen andererseits über Zeit verfügten. Bei den Integrationspolitischen Diskursen war zudem das Bedürfnis nach einer Versachlichung des Integrationsdiskurses thematisiert worden. Auch darauf reagierte das Medienprojekt. Die Redaktion von tünews INTERNATIONAL verzichtet bewusst auf Meinungsäußerung, bemüht sich um journalistische Distanz und Neutralität. Sie veröffentlicht vor allem kurze News zu Sachthemen im Meldungsformat. Längere Beiträge folgen dem Berichtsformat. Auf diesen Erkenntnissen baute die Konzeption von tünews INTERNATIONAL auf.   Der Landkreis Tübingen ermöglicht tünews INTERNATIONAL, indem er Personal und Sachmittel stellt.
tünews INTERNATIONAL erschien seit der Erstausgabe am 1. Dezember 2015 anfangs wöchentlich in Form einer per Fotokopierer vervielfältigten Wandzeitung im A3-Format, die ein Redaktionsmitglied in 61 Unterkünften im Landkreis aushängte, 528 Postsendungen gingen an individuelle Adressen. Bis Juli 2021 erschienen 260 Ausgaben. Ab Juni 2019 vollzog tünews INTERNATIONAL einen „digital turn“, der im März 2020 einen massiven Schub erhielt. Damals nötigte die Corona-Epidemie zu Homeoffice und erzeugte einen hohen Informationsbedarf. Seit damals produziert tünews INTERNATIONAL tagesaktuell mehrere Online-Meldungen, zeitweise bis zu 90 Prozent über die Corona-Pandemie.
In tünews INTERNATIONAL ist seit 2016 ein durchgängig hohes Niveau an wissenschaftlicher Fundierung und Reflexion implementiert, für das die enge Vernetzung mit dem Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen steht. Am Anfang orientierten Seminare und Integrationspolitische Diskurse die Ausrichtung. Seitdem arbeiten Studierende in der Redaktion mit, absolvieren Praktika, mehrere Hausarbeiten, Bachelorarbeiten bis hin zu Masterarbeiten sind entstanden. Aus dem anfänglichen Projekt ist eine permanent tätige Struktur entstanden, die weiterhin auf vielfältige Weise Anschluss an wissenschaftliches Forschen bietet. Sie bietet einen leichten Feldzugang für Forschungsfragen etwa zu Integration, Migration oder Beheimatung. Sie bietet Ansatzpunkte, um kulturwissenschaftliche Erkenntnisse in gesellschaftliche Diskurspraxis umzusetzen und sie nicht zuletzt bietet sie Studierenden der Empirischen Kulturwissenschaft und anderer Disziplinen die Möglichkeit, ihre Kenntnisse journalistischer oder integrativer Arbeit durch Praxis zu vertiefen.