Institut für Politikwissenschaft

Nele Dittmar

Dissertationsvorhaben und Projektskizze

„Die Gewerkschaft ver.di in der Eurokrise. Beiträge zur Entstehung einer demokratischen europäischen Gesellschaft?“ (Arbeitstitel)

Gegenstand dieses Forschungsvorhabens sollen die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, ihre internen Diskussionsprozesse sowie ihr Handeln als kollektiver Akteur im Kontext der derzeitigen „Eurokrise“ sein. Von dieser Untersuchung werden Beiträge zur Diskussion über die Möglichkeit der Entstehung einer europäischen Gesellschaft und über die Demokratiefähigkeit der Europäischen Union erwartet.

Folgt man Georg Vobruba, so kann „man dann von einer europäischen Gesellschaft sprechen, wenn im Zuge der Europäischen Integration ein neuer Kooperations- und Konfliktrahmen institutionalisiert und akzeptiert wird“ (Vobruba 2010: 465f.). Es ist daher von Interesse, zu überprüfen, ob „relevante Akteure und Akteursgruppen die sozialen Verhältnisse als ‚national‘ oder ‚europäisch‘ beobachten“ (Vobruba 2010: 465). Die Untersuchung einer Gewerkschaft wird zusätzlich demokratietheoretisch interessant, da das Fehlen einer politischen Öffentlichkeit im europäischen Kontext als maßgebliche Ursache des oft konstatierten Demokratiedefizits der Europäischen Union angesehen werden kann (Abromeit 2002: 40) und Gewerkschaften – sofern sie von europäischen Entscheidungen tangiert werden – ein Eigeninteresse an der Herstellung von europäischer Öffentlichkeit haben müssen, da ein wichtiger Quell gewerkschaftlicher Macht die Beeinflussung der öffentlichen Meinung für ihre Belange ist.

Die Untersuchung soll also erstens beleuchten, ob die Gewerkschaft ver.di als gesellschaftlich relevanter Akteur die derzeitige Krise, deren Ursachen und Lösungsvorschläge als „national“ oder „europäisch“ interpretiert. Zweitens sollen die Art und Weise sowie der Rahmen, mittels derer und innerhalb dessen ggf. auf europäischer Ebene agiert wird, in den Blick genommen werden. Es soll drittens gefragt werden, ob im europäischen Rahmen versucht wird, die öffentliche Meinung durch kollektives, öffentlichkeitswirksames Handeln zu beeinflussen. Als Voraussetzung für kollektives Handeln auf europäischer Ebene wiederum kann der innergewerkschaftliche Dialog über gemeinsame, identitätsstiftende Werte und Ziele angesehen werden (Hyman 2005). Es sollen daher – viertens – die gewerkschaftsinternen Diskussions- und Meinungsbildungsprozesse betrachtet werden.

 

Literatur:

Abromeit, Heidrun (2002): Wozu braucht man Demokratie? Die postnationale Herausforderung der Demokratietheorie. Opladen.

Hyman, Richard (2005): Trade Unions and the Politics of the European Social Model. In: Economic and Industrial Democracy 26/2005: 9 – 40.

Vobruba, Georg (2010): Gesellschaftstheoretische Grundlagen der Europasoziologie. Die soziologische Beobachtung der Gesellschaft in der Europäischen Integration. In: Eigmüller, Monika/Mau, Steffen (Hrsg.): Gesellschaftstheorie und Europapolitik. Sozialwissenschaftliche Ansätze zur Europaforschung. Wiesbaden: 431 – 470.